Diversität beim Belgischen Schäferhund
18.09.2022 16:38

Genetische Diversität ist die Grundlage für die Resilienz einer Rasse. Sie entscheidet über genetische Fitness, Anpassungsfähigkeit, Vitalität, Krankheitsresistenz und Fruchtbarkeit.

Zitat
Der Verlust an genetischer Varianz, hat nicht nur eine verminderte Anpassungsfähigkeit zur Folge hat, sondern auch eine Anhäufung rezessiver Defektallele im homozygoten Zustand. Das heißt, krankheitsverursachende rezessive Allele kommen in einer Population vermehrt zum Tragen. Aus züchterischer Sicht ist der Zustand der Heterozygotie, also der einer hohen genetischen Varianz, eindeutig zu bevorzugen. Denn je mehr unterschiedliche Genvarianten (Allele) innerhalb einer Population vorliegen, umso besser ist die Anpassungsfähigkeit von Individuen auf sich ändernde Umweltbedingungen. Die genetische Diversität bildet die Basis für die genetische Fitness zu der Vitalität, Krankheitsresistenz und Fruchtbarkeit zählen. (Feragen)



Je höher die genetische Diversität in einer Population ist, desto

- Stärker unterscheiden sich die Individuen der Population genetisch

- Geringer sind die Individuen miteinander verwandt

- Geringer ist die Gefahr, dass bei einer Verpaarung von zwei Individuen an krankheits- oder defektauslösenden Genorten reinerbig auslösende Allele beim Nachwuchs aufeinandertreffen



Wie sieht es beim Belgier aus?



Die rote Linie auf dem zweiten Paar ist die mittlere Heterozygotie für alle Hunde in der Datenbank und die grüne Linie ist die mittlere Heterozygotie von Mischlingshunden. (Diese Daten wurden aus den Informationen auf der MyDogDNA Website im März 2016 zusammengestellt.)



Wie man sieht, liegt der Groenendael bereits unter dem Durchschnitt aller Rassehunde.

Was sagt uns dieser Heterozygotie-Wert?



Die angegebene Prozentzahl ist der Bereich, der mischerbig ist. Das heisst, bei knapp über 30% Heterozygotie ist der deutlich überwiegende Großteil des Belgier-Genoms reinerbig.

Was bedeutet das für die Zucht?



Hier haben wir zwei Beispiele



Einmal ein Groenendael und einmal ein Malinois. Die durchschnittliche Heterozygotie der Varietät Groenendael ist deutlich geringer als die des Malinois.
Trotzdem es sich beim Groenendael um eine Auszucht handelt (Erster gemeinsamer Vorfahre ist in der 6. Generation) und beim Malinois um eine Linienzucht (4-4) ist der genetische Inzuchtkoeffizient (gIK oder gCOI) beim Groenendael höher.
Innerhalb der Varietät Groenendael gibt es also kaum noch Spielraum, die Diversität zu erhöhen und den Inzuchtgrad zu senken. Bei engen Inzuchten beim Groenendael haben wir Werte von 67% gIK gefunden. Mehr dazu im Beitrag „Der genetische Inzuchtkoeffizent“

Was hat einen negativen Einfluss auf die genetische Vielfalt?



- Geringe Anzahl von Gründertieren: Gründereffekt (Founder Effect)

- Äußere Ereignisse wie zum Beispiel der 2. Weltkrieg: Flaschenhals-Effekt (Bottle Neck Syndrome)

- Der übermäßige Einsatz einzelner Zuchtrüden: Popular Sire Syndrome

- Inzucht bzw. unkontrollierte, enge Linienzucht

- Unnötiger Zuchtausschluss grundsätzlich zuchtgeeigneter Tiere

- Fehlende übergeordnete Zuchtstrategien/-absprachen

Gründereffekt (Founder Effect) und Flaschenhals-Effekt (Bottle Neck Syndrome)

Das Domestikationsereignis selbst war für unsere heutigen Hunde bereits ein genetischer Flaschenhals. Aus der Vielfalt der Stammpopulation konnten nur wenige Tiere in den Status des domestizierten Hundes wechseln. Mit der Rassegründung ging weitere genetische Vielfalt verloren, da Rassen immer nur aus wenigen Gründertieren entstehen. Beim Belgischen Schäferhund waren dies 177 Hunde. Was am Anfang bei der Etablierung der Rasse nicht in die Rasse reingekommen ist, kann bei geschlossenen Zuchtbüchern auch nicht mehr nachträglich eingebracht werden. Und der Einfluss von spontanen Mutationen ist eher überschaubar.
Danach nimmt die Diversität einer (geschlossenen) Rasse nur noch ab



Äußere Ereignisse wie die beiden Weltkriege, bei denen viele Zuchthunde verstarben oder getötet wurden, sorgen für eine massive Reduzierung des Genpools



Popular Sire Syndrome und enge Linienzucht

Auch der vom individuellen Züchter sicher nachvollziehbare Wunsch herausstechende Hunde für ihre Zucht einsetzen zu wollen führt zu einem Wegfall von viel wertvollem Erbgut, da entsprechend weniger herausstechende Vertreter der Rasse wenig oder keinen Zuchteinsatz finden. In der Folgegeneration sind dann viele (Zucht-)Hunde miteinander verwandt und die Generation ist deutlich weniger divers.
Auch Inzucht und unkontrolliert umgesetzte enge Linienzucht reduziert durch den Wegfall von Ahnen die genetische Vielfalt und erhöht die Gefahr der Weitergabe von Defektgenorten.



Unnötiger Zuchtausschluss grundsätzlich zuchtgeeigneter Tiere

Auch unnötig strenge Zuchtzulassungsvoraussetzungen reduziert die Genbasis weiter und hat zur Folge, dass viele Hunde aus der Zucht und dem Genpool herausfallen und Folgegenerationen miteinander verwandt sind. Selbst wenn die Nachkommen eines Hundes dann zunächst heterozygot nur Merkmalsträger für Erbkrankheiten oder Defekte sind, werden in späteren Generationen diese Nachkommen oder deren Kinder wieder zusammenkommen und dann besteht die Gefahr, dass die Defektallele reinerbig aufeinander treffen.



Die Anzahl der Tiere lässt sich vergrößern, aber nicht die genetische Varianz innerhalb der Rasse (bei geschlossenen Zuchtbüchern)

Der Verlust von genetischer Varianz wirkt sich mit der Zeit stark auf die Fitness einer Zuchtpopulation aus. Anzeichen von Inzuchtdepression können zum Beispiel sein:

• Sinkende durchschnittliche Lebenserwartung
• Vergleichsweise kleine Wurfgrößen
• Überproportionale Welpensterblichkeit
• Gehäuftes Auftreten von Letalfaktoren und/oder Krebserkrankungen
• Kryptorchismus (Hodenhochstand)
• Allergien, Unverträglichkeiten und Autoimmunerkrankungen
• Abnehmende Belastbarkeit und zunehmende Auffälligkeiten im Wesen

Welche Möglichkeiten gibt es, die Vielfalt zu erhalten oder wieder zu verbessern?



Die drei folgenden Grafiken nennt man Principal Components Analysis (PCA)
PCA ist eine statistische Technik zur Aufdeckung der Ähnlichkeit von Lebewesen, die nicht unbedingt einer Verwandtschaft entspricht. Der genetische Unterschied zwischen zwei Individuen ist die Länge einer Linie, die sie auf dem Diagramm verbindet ("genetische Distanz").
Dies kann verwendet werden, um Subpopulationen von Tieren zu visualisieren; zB Arbeitshunde vs. Ausstellungshunde, europäische vs. kanadische Hunde.

Innerhalb der Varietät möglichst Hunde verpaaren, die eine hohe genetische Distanz haben. In diesem Beispiel haben unterschiedliche Selektionarten dazu geführt, dass sich die Hunde eine höhere genetische Distanz haben. Mehr dazu im Beitrag „Matchmaker“ – wie uns die Molekulargentik bei der Zuchtplanung unterstützen kann“ (Artikel in Arbeit)


Quelle: Diversitätsprojekt Feragen

Intervarietätenverpaarungen eignen sich ebenso, um die Diversität wieder zu erhöhen


Quelle: Studie

Mehr dazu im Beitrag Intervarietäten Verpaarungen (Artikel in Arbeit)

Eine weitere Möglichkeit wäre Registerhunde, Hunde aus der Dissidenz oder echter Outcross mit einer anderen Rasse



Mehr dazu im Beitrag „Registerhundezucht, Dissidenz und Outcross“ (Artikel in Arbeit)

Wie kann ich erfahren, wie hoch der Heterozygotie-Wert meines Hundes ist?



Eine sehr verbreitete Methode zur Bewertung der genetischen Vielfalt anhand von DNA-Daten ist die Berechnung der Heterozygotie. Ein Locus mit zwei Kopien desselben Nukleotids (z. B. AA) ist homozygot. Ein Locus mit zwei verschiedenen Nukleotiden (AG) ist heterozygot.


Ausschnitt der Raw-Data eines SNP-Array

Man kann den Grad der Heterozygotie jedes dieser Marker bestimmen, indem die Marker zählt, die homozygot sind und die die heterozygot sind und daraus errechnet, wieviel Prozent heterozygot sind. Es sind pro SNP Array knapp über 200 000 Marker.
Da nicht jedes Labor exakt die gleichen Marker zur Berechnung nutzt, können sich die Werte der Labore für ein und den derselben Hund unterscheiden.

Es gibt derzeit 3 Labore, die die Heterozygotie berechnen:

Feragen

Feragen erechnet im Diversitätsprojekt die Heterozygotie aus über 200 000 Makern (SNPs).



Laboklin

Mit dem neuen ISAG2020 SNP-Profil bietet Laboklin eine Berechnung der Heterozygotie an.
In diesem Beispiel handelt sich ebenfalls um Mattes, der auch im Feragen-Projekt teilnimmt. (s.o.)



MyDogDNA

Leider haben wir hier kein Beispiel eines Belgiers. MyDogDNA wird überwiegend von DSH und HH-Züchtern genutzt.



Anmerkung: Von diesen drei Anbietern bietet nur Feragen auch ein Matching-Tool für die Zuchtplanung. Es wird zukünfitg auch möglich sein, die Embark Daten in das System von Feragen einspielen zu lassen, um das Matching Tool mit einem Feragen und einem Embark getesteten Partner zu nuten.

Fazit



Die Zuchtpraxis - Gleiches mit Gleichem zu verpaaren - ist leider sehr mit Problemen behaftet und führt langfristig dazu, der Rasse zu schaden. Züchten heißt, in Generationen zu denken, die Rasse zu erhalten und Schaden von ihr abzuwenden.

Zitat
„Züchten heißt in Genrationen zu denken, denn Populationen sind etwas Lebendiges, Dynamisches. Sie verändern sich in Anpassung an die Umweltbedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Jede Form von Selektion führt zu Veränderungen der genetischen Zusammensetzung einer Population, zu Veränderungen der Genfrequenzen, der Häufigkeit von qualitativen Merkmalen und von Mittelwerten und Varianz von quantitativen Merkmalen.“ Irene Sommerfeld-Stur



Buchempfehlung:



RasseHUNDEZUCHT – Genetik für Züchter und Halter
von Irene Sommerfeld-Stur, Müller Rüschlikon Verlag, 2016
ISBN 978-3-275-02060-7



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