Effektive Zuchtpopulation im Vergleich (DMC/ BSD)
16.09.2022 22:32

von Alexandra Ritter

In der Tierzucht ist eine Population die Gesamtheit aller Tiere einer Art oder Rasse, die zu einem Lebensraum oder zu einer Zuchtvereinigung gehören und ausschließlich oder vorwiegend untereinander verpaart werden. Population ist also eine Gruppe von Tieren, die eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden.



In jeder Generation einer Population finden ständig genetische Veränderungen statt, die sich umso ungünstiger auswirken, je kleiner die abgeschlossene Gruppe ist. Populationsgenetisch gesehen ist nur die effektive Zuchtpopulation von Bedeutung. Sie bildet sich aus den für die Zucht tatsächlich eingesetzten Tieren. Die Gesamtpopulation dagegen umfasst alle Tiere einer Rasse. Die effektive Zuchtpopulation ist von sehr großer Bedeutung, da nur sie die genetischen Informationen an die nächste Generation weitergeben kann und für sie die genetische Vielfalt und Diversität stellt.

In der Vergangenheit mussten unsere Hundepopulationen schon durch einige genetische Flaschenhälse und waren dem sogenannten Gründereffekt ausgesetzt. Das Domestikationsereignis selbst war für unsere heutigen Hunde bereits ein genetischer Flaschenhals. Aus der Vielfalt der Stammpopulation konnten nur wenige Tiere in den Status des domestizierten Hundes wechseln. Mit der Rassegründung ging weitere genetische Vielfalt verloren, da Rassen immer nur aus wenigen Gründertieren entstehen. Beim Belgischen Schäferhund waren dies 177 Hunde.



Ein weiteres großes Flaschenhalsereignis waren die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Die Rasse wurde auf wenige Hunde reduziert, aus welchen dann, nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, die heutige Rassepopulation aufgebaut wurde.

Ziel der Rassehundezucht ist, die rassetypischen Merkmale und Eigenschaften so zu fixieren, dass sie einen Wiedererkennungswert haben. Was auch bedeutet, dass sich Hunde in einer geschlossenen Zuchtpopulation ohnehin mehr oder weniger genetisch ähnlich sind und die Varianz, oder auch Diversität (Vielfalt) an Unterschiedlichkeit von Merkmalen verloren geht. Man spricht hier von einer Bearbeitung der Verteilung von Merkmalen, oder auch von Selektion. Eine Bearbeitung eines Merkmals ist nur möglich, wenn es bei diesem Merkmal noch Unterschiede zwischen den Tieren einer Population gibt. Haben alle Hunde einer Rasse die gleiche Farbe, so lässt sich daran nichts mehr verändern. Das Rot beim Irisch Setter, das Weiß beim Samojeden oder das Schwarz beim Rottweiler ist fixiert. Es gibt in solchen Rassen keine anderen Farben mehr. Es ist eine Art der genetischen Verarmung.
Der Malinois ist im Vergleich zu anderen Rassen, vom Erscheinungsbild (Phänotyp) noch vielfältig.

Aber auch hier merkt man eine Entwicklung. 1989 wurde der schwarze Malinois, der hin und wieder in Würfen vorkam, aus dem Standard gestrichen. In den 30er Jahren hieß es, auf ungefähr jeden 20. rotbraunen kurzhaarigen BSH käme ein schwarzer kurzhaariger BSH.
Schaut man die Embarkergebnisse durch, dann sieht man, dass rezessives Schwarz heute nur noch selten vorkommt beim Malinois. Die Auswertungen der Loki für die Farben zeigen eine hohe Uniformität.



Zitat
Zitat Sommerfeld: „Ein Charakteristikum der Zucht in geschlossenen Populationen ist, dass sowohl die phänotypische als auch die genetische Varianz von Generation zu Generation unweigerlich sinkt. Und das geht umso schneller, je kleiner die Population ist.“



Neben der Inzucht und der Selektion gibt es noch eine weitere Kraft, die bestrebt erscheint die genetische Diversität reduzieren zu wollen. Es ist die genetische Drift.



Von Generation zu Generation finden bei geschlossenen Populationen zufällige Schwankungen statt, die Allele reduzieren und damit zu einer Abnahme, der sogenannten genetischen Diversität führen, da keine weitere regelmäßige Genzufuhr „von außen“ zugelassen ist (geschlossene Zuchtbücher). Es sind zufallsbedingte Häufigkeitsschwankungen, die man Gendrift nennt. Es ist eine zufällige Änderung der Allelhäufigkeiten in einer Population. Je kleiner die Population ist (Hunderassen kann man als kleine Populationen bezeichnen), desto mehr Allele können verloren gehen. Es führt einerseits zum Verschwinden des einen, andererseits zum alleinigen Vorhandensein des anderen Allels eines Genlocus. Früher oder später kommt es daher zur genetischen Verseuchung mit Defektallelen.



Zitat
Zitat Sommerfeld:“Als Folge von genetischer Drift können Gene einer Population verlorengehen, andere können homozygot fixiert werden. Dadurch kommt es zu einem Anstieg des Inzuchtniveaus, das umso stärker steigt, je kleiner die Population ist.“



Die Größe der effektiven Zuchtpopulation einer Rasse kann berechnet werden:

Ne = 4* (nm * nw) / (nm + nw)

Die folgende Tabelle gibt einen guten Überblick der Ergebnisse und erspart die Berechnung. Um die Tabelle zu verstehen, muss man wissen, dass die effektive Zuchtpopulation maximal ein Vierfaches der Rüdenzahl sein kann und langfristig nur überlebt, wenn sie 50 Tiere umfasst und mindestens 13 Rüden gleichmäßig eingesetzt werden. Die Tabelle gibt die effektive Populationsgröße in Abhängigkeit von der Zahl der Zuchtrüden und Zuchthündinnen wieder. Die effektive Zuchtpopulation von z.B. vier, wie in der ersten Spalte mehrfach angezeigt wird, bedeutet, dass die Nachzucht lediglich eine genetische Varianz (Diversität/ Vielfalt) von nur vier Elterntieren zur Verfügung hat.



Die Tabelle zeigt ein eindeutiges Ergebnis. Der Zuchteinsatz nur weniger Rüden führt zum Verlust der genetischen Vielfalt (Varianz oder auch Diversität) und zu einem Ansteigen des Inzuchtniveaus einer Rasse. Der Zuchteinsatz weniger Rüden, auch Popular Sire Syndrom genannt, ist ein weiteres großes Problem der Hundezucht. Verschärft wird es, da oft auch die Söhne der Popular Sire wieder häufig eingesetzt werden.

Effektive Population (Ne ):

Beispiel BSD
(durchschnittlich 230 Welpen/Jahr und 257 Würfen in diesen 8 Jahren)
Einsatz der Rüden und Hündinnen zwischen 2012-2019
Anzahl eingesetzte Rüden 127
Anzahl eingesetzte Hündinnen 152
Ne = 4* (nm * nw) / (nm + nw)
Effektive Population Ne = 276 Hunde

Beispiel DMC
(mit durchschnittlich 280 Welpen/Jahr und 321 Würfen in diesen 8 Jahren)
Einsatz der Rüden und Hündinnen zwischen 2012-2019
Anzahl eingesetzte Rüden 109
Anzahl eingesetzte Hündinnen 160
Ne = 4* (nm * nw) / (nm + nw)
Effektive Population Ne = 261 Hunde

Je höher das Inzuchtniveau einer Rasse ist, desto höher ist ihre Homozygotie, denn sie ist eine direkte Folge von Inzucht. Züchterisch genutzt, erhält man so schnell die Homozygotierung erwünschter Gene, die sich rasch in einer Population oder Linie fixieren lassen. Der große Nachteil ist, dass auch gleichzeitig viele andere Genorte homozygot werden.
Den Anstieg des Inzuchtniveaus einer effektiven Zuchtpopulation kann man aus der Zahl an weiblichen und männlichen Zuchttieren berechnen.

ΔF = (1/8nm) + (1/8 nw)

Auch hier vereinfacht eine Tabelle die Übersicht. Sie zeigt den Inzuchtanstieg in Abhängigkeit von der Zahl der Rüden und Hündinnen. Hier wird auch wieder deutlich, dass noch so viele Hündinnen, die Wirkung des Einsatzes weniger Rüden, nicht ausgleichen können.



Zunahme der Inzucht ohne Zutun:

Beispiel BSD (2012-2019)
Zuchthündinnen: 152
Deckrüden: 127
Effektive Population: 276
Zunahme der Inzucht: 0,18%

Beispiel DMC (2012-2019)
Zuchthündinnen: 160
Deckrüden: 107
Effektive Population: 261
Zunahme der Inzucht: 0,19%

Die Annahme bei dieser Formel ist, dass Zuchtpartner nicht miteinander verwandt sind und alle Hunde werden gleich häufig eingesetzt. In Wirklichkeit ist das nicht so! Die Höhe der Zunahme der Inzucht ist also höher als mit Formel berechnet.

BSD:
Der durchschnittliche Einsatz der Deckrüden müsste bei 2 Deckakten liegen. Realität ist, dass die meisten Rüden 1 – 3 mal gedeckt haben und einzelne Rüden bis zu 9 mal.
Die meisten Rüden sind untereinander nochmal, meist in weiterzurückliegenden Generationen verwandt.

DMC:
Der durchschnittliche Einsatz der Deckrüden müsste bei 3 Deckakten liegen. Realität ist, dass die meisten Rüden 1 – 3 mal gedeckt haben und einzelne Rüden bis zu 17 mal.
Der Großteil geht auf nur 6 Linien zurück, die untereinander nochmal in weiterzurückliegenden Generationen verwandt sind.

Die Inzuchtkoeffizenten der Würfe aus diesen Jahren kann man sich an diesem Diagramm ansehen. Sie sind nur auf 5 Generationen berechnet. Auf 9 Generationen würde es ein noch viel deutlicheres Bild abgeben. Den Idealzustand von einem IK von 0, von dem die Formeln ausgehen, ist grün.



Nur die grünen Balken würden der Formel entsprechen. Die Realität zeigt, dass es insbesondere im DMC eine weit höhere Steigung des Inzuchtniveaus geben muss, als aus der Formel ersichtlich. Zur besseren Übersicht hier die IK-Werte mit den Verwandtschaftsgraden



Wo steht nun der Malinois?

Wir wissen nun, dass die genetische Drift, die Inzucht und die Selektion zum Verlust der genetischen Vielfalt führen.
Die genetische Drift betrifft alle geschlossenen Populationen und führt einerseits zum Verschwinden des einen, andererseits zum alleinigen Vorhandensein des anderen Allels eines Genlocus. Ein sehr geringer Genzufluss von außen (nicht verwandter Hunde) würde bereits genügen, um die Genvielfalt aufrechtzuerhalten und die Auswirkung der Drift würde verhindert. Die Malinois der verschiedenen Länder und Zuchtvereine könnten daher wertvoll für einander sein. Der zu erwartende Heterosiseffekt den die Fremdzucht mit sich bringt und die damit verbundene Heterozygotie, lässt Defektgene nicht zur Auswirkung kommen und erhöht die Vitalfunktionen.
Selektion findet beim Malinois hauptsächlich auf Leistung statt und hier liegt wohl ein Vorteil im Vergleich zu anderen Gebrauchshundrassen, die sehr schaulastig geworden sind. Selektion auf Leistung fördert die Heterozygotie, die wiederum Fruchtbarkeit, Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit verbessert (Hierzu mehr in unserem Bericht, „Leistungsbremse Inzucht“) . Ein Problem ist hier, dass die ohnehin schon geringe Vererblichkeit von Wesensmerkmalen beeinflusst wird, in dem sie davon abhängig sind, wer sie beurteilt.

Zitat
Zitat Wachtel, S. 206: „So manche Gebrauchseigenschaften wäre wohl höher vererblich, wenn die Beurteilung in einer wirklich objektiven Weise vorgenommen werden könnte, doch überwiegen bei der Beurteilung durch Richter die positiven Einschätzungen, was, wie wir gesehen haben, eine Auswertung für die Zucht erschwert.“



Inzucht ist verantwortlich für die Homozygotie der Gene und mit verantwortlich für den Verlust der genetischen Vielfalt. Erinnern wir uns an die Auswertungen zur effektiven Zuchtpopulation und zum Inzuchtniveau. Sie zeigen beide, dass der Einsatz nur weniger Deckrüden die effektive Zuchtpopulation sinken und das Inzuchtniveau steigen lässt. Zukünftig wird auch beim Malinois ein Umdenken in der Zucht erforderlich sein, will man nicht in der gleichen Sackgasse enden, in der schon andere Rassen festgefahren sind.




Quellen:

Literatur

Hellmuth Wachtel, Hundezucht 2000, 1. Auflage 1997, 2. durchgesehene Auflage 1998, Gollwitzer Verlag, Weiden.

Irene Sommerfeld-Stur, Rassehundezucht, 1. Auflage 2016, Müller Rüschlikon Verlag, Stuttgart.

Campbell, Biologie, 11.,aktuallisierte Auflage 2019, Pearson Deutschland GmbH, Hallbergmoos, Kapitel 23

Web Links

my.embark/members

https://www.wiki.zuchtmanagement.info/do...lustkoeffizient

https://de.wikipedia.org/wiki/Effektive_...gr%C3%B6%C3%9Fe

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