Die Genetik meines Hundes – eine laienhafte Analyse
16.09.2022 20:07

von Jörg Hummel

Als unser erster Groenendael die Bühne unseres Lebens betrat, hatten wir uns zuvor intensiv mit der Rasse, ihren Eigenarten, ihren Vorzügen und auch ihren „Problemchen“ auseinandergesetzt und so war unser Bild vom Belgier, obwohl wir bis dato noch keinen hatten, ein recht konkretes und wurde von unserem schwarzen Plüsch auch in keinster Weise enttäuscht. Auch über die Gesundheit meines konkreten Rassevertreters brauche ich mich (toitoitoi) nicht beschweren. Er ist gesund und munter und entspricht zudem auch noch, wie es so schön heißt, vorzüglich dem Standard.

Nachdem wir - nun mit Hund – weiterhin Ausstellungen besuchten, reifte so langsam der Gedanke in uns heran, unseren Jungrüden auf die Zuchtzulassung vorzubereiten. Einige der dafür relevanten Untersuchungen hatten wir ohnehin vor – allein schon, weil wir bestimmte Sportarten und Formen der Beschäftigung nur einem gesunden Hund zumuten würden. Mit dem Heranreifen der Idee Zuchtrüdenhalter zu werden, begannen wir uns auch mehr noch als zuvor mit der Ahnentafel und der Genetik unseres Hundes zu beschäftigen. Und als eher analytisch veranlagte Menschen, die durch ihre Ingenieursstudiengänge mit geprägt wurden, gingen wir nüchtern und akribisch dabei vor.

Der auf Papier ausgedruckte Teil der von uns recherchierten Ahnentafel umfasst, beginnend mit den Eltern, 9 Generationen oder 1022 Ahnen, die sich jedoch - erwartungsgemäß - nicht alle unterscheiden, und misst ausgerollt 460 auf 40 Zentimeter in Schriftgröße 10. Wir berechneten die Inzucht- und Ahnenverlustkoeffizienten über die verschiedenen Generationen und kamen auf ähnliche Werte, wie sie auch in den Datenbanken der Zuchtvereine oder bei Working Dog berechnet wurden. Da ich bei der Komplexität der teilweisen Verschachtelung innerhalb des Stammbaumes Rechenfehler bei uns nicht ausschließen möchte, gebe ich hier zur Orientierung die Werte nach Working Dog an. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von den unseren.



Unser Hund ist ein Outbreed. Sowohl Vater als auch Mutter stammen aus zwei voneinander unabhängigen Zuchtlinien. Der erste doppelt im Stammbaum vorkommende Ahn ist Dandy du Chemin des Dames, der sowohl väter- als auch mütterlicherseits jeweils in der sechsten Generation im Stammbaum auftritt.

Was dem aufmerksamen Betrachter auffallen wird, ist, dass ab der siebten Ahnen-Generation der Inzuchtkoeffizient merklich, ja rasant, steigt und der Ahnenverlustkoeffizient deutlich abfällt. Dies verwundert wenig, sieht man sich die Hunde der sechsten Ahnen-Generation genauer an. Man findet dort durchaus Geschwister und Halbgeschwister, die teils mehrfach auftauchen. Blickt man noch ein paar Generationen weiter zurück, findet man auch einige Verpaarungen, die nur noch euphemistisch als „sehr enge Linienzucht“ zu bezeichnen sind. Bitte verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch. Ich lehne Linienzucht nicht ab und wir haben uns bewusst für einen Hund mit bestimmten, uns überzeugenden Linien im Stammbaum entschieden. Doch manche „Zuchtentscheidungen“ gehen auch mir dann doch etwas zu weit. Wie aber geschrieben, sie liegen weit genug zurück und sollten daher für unseren Hund auch nicht problematisch sein.

Soweit so gut. Und so ähnlich sieht es vermutlich bei fast allen anderen Hunden in der Belgierzucht auch aus. Geht man nach einschlägigen Fachbüchern, ist bei einem Prozent Inzucht auch noch kein Anlass zur Sorge geben. Aber ich möchte meine Betrachtung und Darlegung an dieser Stelle noch nicht enden lassen.

Interessanter wird es, blickt man etwas weiter zurück. In den Ahnen-Generationen 8 und 9 treten Vega du Chemin des Dames 13+5 = 18 Mal und Louky des Séviers 12+7 = 19 Mal auf – einfach, weil diese beiden bildschönen Hunde nicht nur in vielen Hunden früherer Jahrzehnte enthalten sind, sondern auch weil so einige Ihrer Nachkommen zum Popular Sire wurden. Und das ist nur die Spitze vom Eisberg, denn auch andere mehrfach in der Ahnen-Generation 9 stehende Hunde stammen von ihnen ab. Aber auch dies erscheint erst einmal nicht zu problematisch. Sie stehen ja weit genug hinten im Stammbaum. So zumindest unser damaliger Stand.


Abbildung 1: Ein Groenendael-Rüde - ein Vertreter der langhaarigen, schwarzen Varietät des Belgischen Schäferhundes

Kommen wir zurück zu unserer Entscheidung, unseren Jungrüden auf die Zuchtzulassung vorzubereiten und für die Verwendung im Sport durchchecken zu lassen. Die Röntgenergebnisse unseres Groenendaels könnten nicht besser sein: HD A1, ED 0/0, spondylosefrei und LSÜW 0. Was sollte man sich mehr erträumen. Bei der Verpaarung und in Anbetracht des Gebäudes und der bekannten Befunde seiner Vorfahren war dies aber auch nicht anders zu erwarten.

Da wir inzwischen gelernt hatten, dass bei der Zuchtrüdenwahl viele Züchter auch auf diverse (verborgene) Merkmale achten, entschieden wir uns nach den obligatorischen Laboklin-Untersuchungen für das Rundum-Sorglos-Komplett-Paket von Embark, um möglichst viele Merkmale aber auch Marker für potentielle Erbkrankheiten untersuchen zu lassen. Dass zudem an über 200.000 Markerstellen das Genom untersucht wird und es die Möglichkeit gibt auch abzuklären, wie viele der Allele von Vater und Mutter tatsächlich und nicht nur wahrscheinlich identisch geerbt wurden, überzeugte uns als Kaufargument. Die Option mit dem Matchmaker-Tool eines Tages bei eventuellen Zuchtanfragen die Inzucht des zu erwartenden Wurfes schon vor einer Deckung abschätzen zu können, war dann das berühmte Sahnehäubchen.

Als die Ergebnisse nach knapp 4 Wochen (inklusive Versand) zurückkamen, war alles wie erwartet: alle rassetypischen und auch für die Rasse unüblichen, testbaren Erbkrankheiten wurden negativ getestet, die Merkmale fielen, wie erwartet aus, alles gut. Nunja – fast alles! Denn eine Überraschung gab es dann doch: Der genetisch bestimmte Inzuchtkoeffizient, also der Anteil der von Vater und Mutter identisch geerbten Allele/Gene betrug 28%. Noch einmal und in Worten: ACHTUNDZWANZIG Prozent!



Das war dann doch ein „wenig“ mehr, als wir blauäugig erwartet hatten. Für uns war zwar klar und logisch, dass all die rasse- und varietätentypischen Erbinformationen für das phänotypische Erscheinungsbild, die Substanz und charakterlichen Merkmale unmöglich in unter einem Prozent Inzucht/der Gene gespeichert sein können, doch die Hausnummer traf uns dann doch etwas unvorbereitet.

Denn ein Blick in die Theorie besagt, dass ein Inzuchtkoeffizient von 25% einer Verpaarung von Vollgeschwistern oder aber eines Elternteils mit dessen Kind bei sonst unverwandten Vorfahren entspräche – und beides wäre bekanntlich Inzestzucht und tierschutzrelevant.

Eine solche Verpaarung liegt bei unserem Rüden nicht vor. Wie Eingangs ausgeführt gibt es auf 5 Generationen keinen, in der sechsten Ahnen-Generation gerade einmal einen doppelt vorkommenden Ahnen. Und doch sind 28% seiner Gene identisch oder eben reinerbig.

Wer nun seinen Finger herausholt, um in bestimmte Richtungen zu deuten, sollte diesen lieber wieder wegstecken. Denn das hier dargestellte Phänomen von niedrigen bis durchaus akzeptablen Inzuchtkoeffizienten nach Ahnentafel und doch bedenklich erscheinenden genetischen Inzuchtkoeffizienten, tritt nicht nur bei unserem Rüden auf. Diese Erkenntnis dürfte in dieser oder sehr ähnlicher Form jeden einzelnen Belgierbesitzer und -züchter ereilen, der den genetischen Inzuchtkoeffizienten seiner Hunde einmal bestimmen lässt. Es ist auch nicht rassespezifisch, sondern kommt bei fast allen Rassehunden in ähnlicher, mal minder mal stärker ausgeprägter Diskrepanz vor.

Hierin liegt aus meiner Laiensicht auch noch nicht wirklich das Problem selbst. Ein gewisser Grad an Inzucht muss bei jedem Rassehund vorhanden sein, sonst könnte er/sie die aus dem Rassestandard hervorgehenden Merkmale weder zuverlässig ausprägen noch vererben. Wir sollten uns auch bewusst sein, dass diese Merkmale sehr wahrscheinlich nicht in den geringen theoretisch errechneten Inzuchtkoeffizienten nach Ahnentafel verankert sein können. Man sollte jedoch auch beachten, dass sich nicht nur die gewünschten Merkmale, sondern auch die Defekte, die für unerwünschte Merkmale und Erbkrankheiten verantwortlich sind, genauso in den doppelt geerbten und damit bei einem Hund reinerbig vorhandenen Genomabschnitten vertreten sein und sich dann auch eher ausprägen können. Und je höher der Grad der Inzucht, desto wahrscheinlicher, dass dies der Fall ist.

Wie geschrieben, weist unser Hund ideale Röntgenergebnisse auf und wurde negativ auf fast 200 testbare Erbkrankheiten (ob für die Rasse relevant oder nicht) getestet. Auch ist er gesund und munter und ich möchte gern annehmen, dass auch dies mit reinerbig in seinen Genen verankert ist.

Blicke ich aber auf die ganzen vermeintlichen Einzelfälle von Epilepsie, Krebs und durchaus überraschend klein ausfallenden, gemeldeten Würfen, vergleiche ich die berichtete Lebenserwartung von Belgiern von vor ein paar Jahrzehnten und heute, drängen sich zumindest mir als Laien diese Faktoren doch als Anzeichen von Inzuchtdepression auf. Gleich so sind auftretende Zahnfehler und Kryptorchismus ernstzunehmende Warnzeichen hierfür.

Ich weiß nicht, ob ein mittlerer genetische Inzuchtkoeffizient von knapp unter oder deutlich über 20%, wie er in den Varietäten des Belgiers auftritt, schon problematisch ist. Ich weiß auch nicht, wie hoch er sein muss, damit die für Rasse und Varietäten relevanten Merkmale zuverlässig vererbt werden. Ich bin kein Experte.

Wenn ich mit dem Matchmaker-Tool von Embark spiele und eine Verpaarungspartnerin suche, mit der für einen Wurf ein niedrigerer genetischer Inzuchtkoeffizient auf Basis der vorliegenden Gendaten zu erwarten ist, dann meine ich jedoch ein echtes Problem ausgemacht zu haben.

Bei den 225 unabhängig ihres Alters und Standortes hinterlegten und für das Tool freigegebenen Belgier- und Belgier-Mix-Hündinnen komme ich nur dann auf einen einstelligen Wurf-Durchschnitts-Inzuchtkoeffizienten, wenn eine Laekenois- oder Malinois-Hündin genutzt würde – was, wie wir wissen, entsprechend Standard grundsätzlich nicht für die FCI-konforme Rassezucht zielführend ist.

Der niedrigste theoretisch zu erwartende Wurf-Inzuchtkoeffizient aus FCI-konformer Verpaarung wäre von einer Tervueren-Hündin mit Malinois-Ahnen (aus den USA) erwartbar und lag immer noch bei 14% also höher als bei einer theoretischen Halbgeschwister-Verpaarung (12,5%). Für eine Groenendael-Verpaarung mit einer für das Tool freigegebenen Hündin aus Europa wäre im günstigsten Fall ein durchschnittlicher Wurf-Inzuchtkoeffizient von 29% zu erwarten. Zur Orientierung: Das entspricht dann schon fast dem theoretischen Ergebnis aus einer Verpaarung von (Voll-)Geschwistern aus einer (Voll-)Geschwisterverpaarung. Aber auch Beispiele für mittleren Wurf-Inzuchtkoeffizienten von 36% ließen sich leicht finden. Was dem entspräche, möchte ich lieber gar nicht erst vorrechnen… Gravierender wird dies noch, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um den Durchschnitt der Welpen einer solchen Verpaarung handelt. Einzelne Welpen können also auch noch deutlich höhere genetische Inzuchtkoeffizienten aufweisen.

Und an dieser Stelle haben wir dann spätestens ein echtes und gravierenderes Problem.

Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich leider nicht abschätzen kann, wie repräsentativ die nicht einmal handvoll Hündinnen aus zumindest teils deutscher Zucht für das Bild der deutschen Belgierzucht sind. Leider sind nicht mehr bei Embark getestet oder zumindest nicht für das Matchmaker-Tool freigegeben.

Doch möchte ich betonten: „Nicht getestet“ oder „nicht freigegeben“ ist nicht das Gleiche wie „nicht vorhanden“!

Dies beweist auch eine Auswertung des Belgian Shepherd Health Projekt der von Embark bestimmten genetischen Inzuchtkoeffizienten von über 400 belgischen Schäferhunden aus aller Welt, also auch Europa.

Bei einem englischsprachigen Online-Seminar zum Thema Genetik und Hundezucht, das Embark dieses Jahr abhielt und das auch jetzt noch als Aufzeichnung abrufbar ist, haben ausnahmslos alle vortragenden und an den Diskussionsrunden teilnehmenden Genetiker und Wissenschaftler auf die Wichtigkeit der genetischen Vielfalt und der Kontrolle der Inzucht hingewiesen und dies betont.

Eine Untersuchung in Dr. Boykos Labor hat ergeben, dass mit einem 10% höherem Inzuchtkoeffizienten eine um 6% geringere Erwachsenengröße und entscheidender eine um 6-10 Monate reduzierte Lebenserwartung einher gehen. Auch die Wurfgröße und die Fruchtbarkeit von Hündinnen sind wahrscheinlicher reduziert.

Selbst mir als Laien ist klar, verpaart man genetisch betrachtet (quasi) Nachkommen aus Geschwisterverpaarungen aus Geschwisterverpaarungen aus …, kann dies auf Dauer nicht gut gehen - selbst sollten Epilepsie und Krebs eines Tages genetisch getestet und aus der Rasse heraus gezüchtet werden können.


Abbildung 3: EIne der vier Varietäten des Belgischen Schäferhundes - der Groenendael

Dieser Beitrag soll nicht meinen jungen Rüden schlecht schreiben, denn er ist es nicht! Er ist gesund, hat super Gesundheitsergebnisse, ist auf alle testbaren Erbkrankheiten negativ getestet, weist bisher keine Anzeichen für nicht testbare Erbkrankheiten auf und entspricht vorzüglich dem Rassestandard. Er ist auch nicht das Problem, sondern dient hier lediglich als Beispiel, zu welchem mir Daten vorliegen, über die ich auch frei verfügen kann. Wir bereiten ihn auch und gerade mit den uns gefunden habenden Erkenntnissen bewusst und besten Gewissens auf die Zuchtzulassung vor. Wir sind überzeugt, dass seine Genetik und einige der Linien in seinem Stammbaum eine Bereicherung für die Rasse und den Genpool darstellen und ihn mit nur zwei zudem von einander abstammenden Vorfahren deutscher Zucht zu einem potentiellen Outbreeding-Kandidaten machen. Dabei werden wir darauf achten, den COI nicht unnötig weiter zu erhöhen, sondern nach Möglichkeit gar zu senken und ihn mit Sicherheit nicht zu einem weiteren Popular Sire werden lassen, selbst sollte er einmal entsprechend nachgefragt sein. Neben all den Selbstverständlichkeiten gehört auch dies zu unserem Verständnis von der Verantwortung, die ein Zuchtrüdenhalter für die Rasse und die Zucht hat.

Dieser Beitrag soll auch keine Anklage sein. Denn kaum ein Züchter, der heute noch lebt und züchtet, ist alt genug, um an den relevantesten Einflüssen auf unsere Rasse mitgewirkt haben zu können. Wir reden hier von „Zucht“entscheidungen, die vor 7 und mehr Generationen teilweise vor über 50 Jahren getroffen wurden.

Dieser Beitrag soll ein Weckruf sein, denn bisher war mein Eindruck in persönlichen Gesprächen mit Züchtern, dass die hier dargestellte Diskrepanz zwischen „Papier“-Inzuchtkoeffizienten nach Ahnentafel und dem genetischen Inzuchtkoeffizienten nicht jedem und wenn überhaupt, dann nicht in diesem Ausmaß bewusst oder auch nur bekannt ist. Ich erhoffe mir, dass mit dem vielleicht neuen W­issen einzelne, vielleicht viele Züchter und mit ihnen die Vereine als deren Organisationen althergebrachte und sich bisher als valide präsentiert habende Zuchtwerkzeuge hinterfragen, neu bewerten und vielleicht Alternativen oder Ergänzungen zu diesen suchen und finden oder aber entwickeln. Ich als Laie und Neueinsteiger kenne die Lösung nicht und habe auch nicht DEN ultimativen Rettungsplan – Da müssen die Profis ran. Im Folgenden aber meine ersten, noch unausgereiften Gedanken als Diskussionsgrundlage und -einladung:

Ich habe keinen Einblick, ob und in welchem Umfang bei den Entscheidungsträgern und in Gesprächen zwischen Züchtern dieses Thema präsent ist und diskutiert wird. Zumindest auf den Tagesordnungen bei Züchtertreffen/-tagungen habe ich es aber bisher nirgends so präsent kommuniziert gefunden, wie ich es mir wünschen würde. Zahnfehler, Kryptochismus, klein ausfallende Würfe (wie wir sie inzwischen öfter sehen), kürzere Lebenserwartung, Autoimmunerkrankungen und häufigeres Auftreten von Krebs, aber auch die erst kürzlich von Zuchtverantwortlichen angesprochene Zunahme von unzureichend wesensfesten Hunden sind laut Fachliteratur klare Anzeichen für und im Zusammenhang mit Inzuchtdepression zu sehen.

Ausgehend von dem gefühlt noch immer wenigen Wissen, das ich mir inzwischen angelesen und in Gesprächen oder Seminaren angeeignet habe, glaube ich, dass all diese „Problemchen“ nicht allein nur mit Tests angegangen, sondern auch durch Bewahrung und Erhöhung der Vielfalt innerhalb der Varietäten angegangen und zumindest gemindert werden können. Dafür bedarf es aber eines koordinierten Ansatzes und meiner persönlichen Meinung nach auch in einigen Punkten eines Umdenkens – sowohl bei den Vereinen als auch bei den Züchtern.

Es reicht hierbei mit Sicherheit NICHT, etwas mehr darauf zu achten, „nicht ganz so verwandte“ Zuchtpartner zu wählen oder hier oder da mal einen Popular Sire heutiger Tage auszulassen. Ab spätestens der neunten oder zehnten Generation findet man bei fast allen Hunden die gleichen Namen mit in der Ahnentafel wieder!

Zur Erhöhung der Varianz und Gesundheit innerhalb der Rasse, bedarf es eine sachliche Bestandsaufnahme des Istzustandes. Dazu gehört für mich, dass nicht nur ein PCR-Profil von Zuchthunden vorliegt, sondern das Genom möglichst umfangreich analysiert und an möglichst vielen Allelen erfasst wird. Nur so kann die genetische Verwandtschaft von Zuchtpartnern und die erwartbare genetische Inzucht des Wurfs berücksichtigt werden. Wenn wir heute einen Inzuchtkoeffizienten von deutlich über 20 haben, er in ein oder zwei Generationen bei über 30 liegt, ist klar, wo er dann zwei Generationen weiter liegt. Und hier reden wir nicht von ewig weit weg in der Zukunft, sondern von einer Zeitspanne von 12-15 Jahren.

Welches Labor hier die genomweite Analyse vornimmt, ist für mich persönlich vollkommen zweitrangig. Wichtig ist, dass sich die Vereine auf ein Labor einigen – am Besten in Absprache mit den Zuchtvertretern unserer Nachbarländer. Denn die Labore überprüfen unterschiedliche Stellen und direkt vergleichbar sind die Sequenzierungen, so sie im Detail einsehbar/ladbar sind, auch nicht immer. Die Tools für die Voraussage von Würfen funktionieren entsprechend immer nur mit den im jeweiligen Labor untersuchten Hunden.

Diese Genprofile und deren Auswertung mit entsprechenden Tools müssen mindestens für die Zuchtverantwortlichen, besser für alle Züchter und Zuchtrüdenhalter offen zugänglich sein. Hierfür muss meiner persönlichen Meinung nach aber auch ein Wandel hin zu mehr Offenheit vollzogen werden.

Aufgrund der aktuell hohen genetischen Inzuchtkoeffizienten halte ich es für zwingend erforderlich, das die Dämonisierung von Merkmalsträgern aufhört. … Es muss dann eben über Einschränkungen in der Verpaarung und Testpflichten für die Nachkommen nachgedacht werden. Aber frei nach Dr. Irene Sommerfeld-Stur muss man sich davon lösen, nur die „besten“ Rassevertreter für die Zucht zu verwenden und dazu übergehen, nur die Schlechtesten aus der Zucht auszuschließen. Nicht von Seite der Vereine, die hier genug Spielraum lassen, sondern vom züchterischen Denken her.

Die Zucht innerhalb von Linien sollte auch von den Zuchtverantwortlichen mit koordiniert und unterstützt werden. Verschiedenartige Linien erlauben eben gerade bitternötiges Outbreeding und gehören zu fast jeder Strategie zur Erhöhung der genetischen Vielfalt. Auch das Outbreeding muss koordiniert und gesteuert erfolgen. Outbreeding des Outbreeds wegen bringt nichts, wenn alle die gleichen Linien dafür nutzen und in der nächsten Generation dann alle Zuchthunde miteinander verwandt sind.

Auch Forschungsprojekte müssen meiner Wahrnehmung nach mehr unterstützt werden: Es reicht meiner Meinung nach nicht, besten Falles irgendwo auf einer Vereinsseite ein Formular finden zu können. Die Vereine sollten nach meinem Dafürhalten, die Forschungen aktiv bewerben und unterstützen. Egal ob auf Vereinsversammlungen, Züchtertagungen oder Ausstellungen, meint man es damit ernst, ist kann bei jeder dieser Gelegenheiten informiert werden, was aktuell wo läuft. Und sei es nur in Form eines Handout-Zettels in der Give-away-Tüte. Da die Teilnahme an Forschungsprojekten mit Blutproben gern mit dem verbundenen Aufwand und den Kosten in Frage gestellt wird, könnten Vereine entsprechende Blutproben-Sammelaktionen auf einer Ausstellung organisieren. Dann Bedarf es nur eines Tierarztes und kann Forschungen, die seit Jahren aufgrund unzureichender Teilnahme und Proben auf Halt liegen, beflügeln. Die entsprechenden Unterlagen können die Teilnehmer ja in Ruhe zu Hause ausfüllen und dann einsenden.

Repressiver könnte auch überlegt werden, die Zuchtzulassung an die Teilnahme an für die Rasse förderlichen Forschungsprojekte zu binden. Wobei es hier wohl mehr Widerstand geben dürfte.

Wie geschrieben: Ich bin kein Experte und kein Genetiker. Was richtige oder für die Gesundheit unserer Rasse förderliche Strategien und Ansätze sind, können erfahrenere Züchter und Zuchtverantwortliche sicher besser einschätzen als ich. Ich bin aber überzeugt, dass es mehr Kommunikation, mehr Aufklärung und vielleicht gar die Unterstützung von externen Experten bedarf – lieber jetzt, lieber vielleicht etwas zu früh, als wenn es dann in wenigen Jahren/Generationen zu spät ist.

Um die gesamte Inzucht-Thematik etwas fundierter und vor allem weniger laienhaft darzustellen, habe ich mir mit freundlicher Genehmigung der Autorin Thea van Niekerk erlaubt, zwei Beiträge für die Clubzeitschrift des NVBH zusammenzuführen und ins Deutsche übersetzt für diese Ausgabe mit einzureichen.

Mein Groenendael hat unser Leben sehr bereichert, sodass ich mir mein Leben für die nächsten 30+ Jahre nicht ohne einen Belgischen Schäferhund an meiner Seite vorstellen möchte. Jeder Hund hat es verdient, bis ins hohe Alter gesund und munter durch sein Leben gehen zu können und ein Quell nie versiegender Freude für seinen Besitzer zu sein. Die Zukunft und der Fortbestand dieser Rasse liegen mir am Herzen! Darum hier und an anderer Stelle dieser Weckruf, diese Aufforderung zur Diskussion!



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