Atresia Ani – Erfahungsbericht einer Züchterin
15.09.2022 15:56

von Alexandra Ritter

„Ich hatte noch nie im Leben von so einem Fall gehört oder gesehen.“

Das erzählte mir Christa Valentin, als ich mit ihr über die traurige Geschichte des kleinen Gunn sprach.



Damit es andere Züchter vielleicht nicht so eiskalt erwischt, sie mehr Informationen und Wissen haben und gegebenenfalls auch aus den Fehlern der anderen Züchter lernen können, haben wir uns entschlossen auch über Krankheiten, Infektionen oder Missbildungen zu berichten, die zwar nicht häufig vorkommen, aber eben vorkommen.

Am 21.02.2021 kam der G-Wurf im Zwinger „vom Gailtal“ zur Welt. Die Züchterin, Christa Valentin züchtet Belgische Schäferhunde der Varietäten, Malinois und Tervueren wobei das Hauptaugenmerk bei den Tervueren aus Arbeitslinie liegt. Ihr G-Wurf war eine genehmigte Intervarietätenverpaarung (Lt. FCI Regelement) zwischen einem Malinois Rüden und einer Tervueren Hündin. Es sind 4 Rüden und 4 Hündinnen gefallen, alles lief problemlos und Christa hatte dem Augenschein nach 8 gesunde Welpen in der Wurfkiste liegen. Die erste Woche verging völlig normal und es waren keine Auffälligkeiten bei den Welpen festzustellen. Alle waren zufrieden und nahmen gut zu. Nach 8 Tagen fiel ihr ein Rüde auf, der sich sichtlich unwohl fühlte, einen dicken, fast aufgeblähten Bauch hatte und nicht mehr saufen wollte. Der erste Gedanke war, dass der Kleine wahrscheinlich Bauchweh hat, Blähungen oder eine Verstopfung. Christa fuhr mit dem 8 Tage alten Welpen zu ihrer Tierärztin. Diese wollte bei dem Rüden Fieber messen, konnte das Thermometer aber nicht einführen. Der Darmausgang, Anus war geschlossen. Für den Welpen ginge es auf direktem Weg in die Tierklinik. Dort wurde die Diagnose Atresia Ani gestellt.

Bei Atresia Ani (Analatresi) handelt es sich um eine genetisch bedingte Erkrankung, die durch eine Missbildung oder Nichtbildung des Anus gekennzeichnet ist. Sie ist bei Kleintieren die am häufigsten auftretende anorektale Missbildung, auch wenn sie grundsätzlich eher selten vorkommt. Betroffen sind vermehrt Hündinnen bestimmter Rassen, darunter Zwergpudel und Boston Terrier. Es werden verschiedene anatomische Formen dieser Fehlbildung beschrieben, die in 4 Typen klassifiziert werden.

Typ I – angeborene Analstenose

Sie ist die mildeste Form und ist gekennzeichnet durch ein abnormales Aussehen oder eine abnormale Position des Anus.

Typ II – unperforierter Anus

Das Rektum endet blind, was bedeutet das eine Analmembran den Darmausgang/ Anus verschließt.

Typ III – unperforierter Anus kombiniert mit einem weiter oben liegenden Abschluss des Rektums durch einen Blindbeutel.

Es besteht hier keine durchgehende Verbindung vom Enddarm bis zum Anus mehr.

Typ IV – Diskontinuität des proximalen Rektums mit normaler analer und terminaler Rektalentwicklung.

Typ IV ist die schwerste Form. Teile des Rektums und der Anus sind normal entwickelt, jedoch endet das weiter oben liegende Rektum trotzdem blind. Auch hier besteht keine durchgehende Verbindung vom Enddarm bis zum Anus. Häufig liegen hier begleitende Fehlbildungen, insbesondere urogenitale Anomalien (z.B. rektovaginale Fistelbildung) vor.


Quelle: http://www.vetbook.org/wiki/dog/images/3/30/Atrseiaani01.jpg

Im Fall des kleinen Gunn war es nun so, dass auf dem Röntgenbild eine durchgehende Verbindung vom Enddarm bis zum Anus zu erkennen war, dieser aber eben blind endete (verschlossen war). Der behandelnde Tierarzt meinte, dass es in diesem Fall, durch eine OP, recht gute Aussichten gäbe. Die Entscheidung lag nun bei Christa, die für den kleinen Welpen über Leben und Tod entscheiden musste. Da es berechtigte Hoffnungen für ein recht normales und gutes Leben für den Welpen gab, entschied sie sich den Eingriff vornehmen zu lassen. Der Welpe wurde direkt operiert, bekam eine Vollnarkose, der Anus wurde geöffnet und der Darm an der Bauchdecke fixiert, um eine Darmdrehung zu verhindern. Bereits am Nachmittag bekam Christa positive Nachrichten aus der Klinik, dass der Welpe alles gut überstanden hätte und großen Hunger zeige. Er konnte direkt wieder abgeholt werden. Erst einmal sah alles positiv aus. Christa musste mehrmals am Tag den Bauch des Kleinen massieren und ein Fieberthermometer einführen, damit sich der Ausgang nicht wieder verschließe.

In der Literatur werden die Prognosen eines chirurgischen Eingriff bei den Typen I und II in Verbindung mit einer Ballondilatation als recht erfolgreich beschrieben. Typ III hat wesentlich schlechtere Erfolgsaussichten und umfassendere chirurgische Eingriffe sind erforderlich. Frühere Studien stellten eher eine vorsichtige Prognose, da die Komplikationsrate recht hoch ist. Durch die Ballondilatation wird ein flüssigkeits- oder luftbefüllbarer Ballonkatheter eingesetzt, der für eine Aufdehnung des stenosierten (verengten oder fehlgebildeten) Darms sorgt. Bei Gunn wurde der Ballonkatheter, wie oben beschrieben, zunächst nicht eingesetzt und wirft für mich, als Außenstehende die größte Frage auf. Warum wurde der Ballonkatheter nicht gleich bei der ersten OP eingesetzt? Die Frage darf nicht als Vorwurf verstanden werden, der Chirurg hatte sicher seine Gründe. Allerdings sollte die Frage geklärt werden falls ein solcher Fall noch einmal auftreten sollte. Im Abschlussbericht vom 24.03.2021 wurde lediglich festgehalten, dass ein Dilatationsballon als zu komplikationsreich betrachtet wurde. In der Literatur wird aber beschrieben, dass eine unbehandelte Analatresie durch die chronische Darmüberdehnung zu einem nicht-reversiblen Megakolon führt. Ein Megakolon ist eine chronische Verstopfung, einhergehend mit einer Erweiterung des Dickdarms. Und genau dies ist dann im Fall des kleinen Gunn auch geschehen.

Zunächst fuhr Christa mit dem Welpen einmal die Woche, montags in die Tierklinik. Dort wurde jedes Mal ein Röntgenbild gemacht und ein Einlauf, da der Welpe Zuhause nie Kot absetzte, da hierfür keine ausreichende Darmkontraktion vorhanden war. In Gunns letzter Woche, bekam er freitags schon Bauchweh, drehte sich im Kreis und jammerte.



Christa fuhr direkt mit ihm zu ihrer Tierärztin, da in der Klinik niemand mehr zu erreichen war. Die Tierärztin machte erneut einen Einlauf, aber es war dem Welpen anzumerken, dass es ihm nicht wirklich Entlastung brachte. Daher stand Christa mit Gunn montags gleich wieder in der Tierklinik. Das Röntgenbild ergab eine große Kotansammlung und Aufgasung in Gunn’s Darm, ein Megakolon (lt. Abschlussbericht vom 24.03.2021). Daraufhin wurde der Welpe ein zweites Mal operiert. Diesmal sollte ein Ballonkatheter eingesetzt werden.

Der Welpe verstarb leider während der OP.



Christa gab dem Welpen nach seinem Tod den Namen Gunn, was im norwegischem so viel wie, „Kämpfer“ heißt.

Als wir das erste Mal über Gunn und seine Geschichte sprachen, war er gerade verstorben. Christa erzählte mir, dass diese Krankheit (Fehlbildung) erblich ist und wir gerne im Rahmen unseres Projekts darüber berichten dürfen und im Laufe des Gesprächs kamen wir drauf, dass es für eine Aufklärung am besten wäre Blut von Gunn, seinen Eltern und Geschwistern nach Bern an die Uni zu senden. Da Gunn bereits tot war, wurde von ihm, nach Rücksprache mit Bern, ein Ohr versendet.

An dieser Stelle möchte ich meinen vollen Respekt, Christa Valentin aussprechen, die sich mehr als verantwortungsbewusst und vorbildlich verhalten hat und ganz offen und ehrlich mit dieser traurigen Geschichte umgegangen ist. Daher ist es auch ein Anliegen von ihr, dass wir nicht anonym schreiben, sondern alles beim Namen nennen. Besser kann man mit solch einer Angelegenheit nicht umgehen. Neben dem Ohr von Gunn hat Christa mittlerweile auch Blut der Mutter, des Vaters und eines Geschwisters nach Bern versendet. Respekt auch an den Rüdenbesitzer!

Christa hat den Fall auch ihrem Zuchtwart und dem Zuchtverein gemeldet, denn ihre Gedanken sind, ob diese Krankheit wirklich nur sehr selten auftritt oder es eben gar nicht erst bekannt wird, wenn solche Welpen geboren werden.

Warum ist es eigentlich so wichtig über solche seltenen Krankheiten zu berichten und offen zu sprechen?

Weil diese, wie fast alle anderen Krankheiten erblich sind und sich schnell in eine Rasse einschleichen können, wenn sie nicht gemeldet und unter den Teppich gekehrt werden. Beispiele dafür gibt es genug, denken wir z.B. an die Fälle der Ataxie. Wird festgestellt, dass eine Krankheit doch öfter vorkommt, als angenommen, kann früh genug versucht werden diese Krankheit wieder auszuschleichen. Im Idealfall liegt dann schon genügend Blut von betroffenen Tieren und deren Eltern in Bern (Bern, da diese Uni unser Ansprechpartner ist), wofür Christa in ihrem Fall ja schon vorbildlich gesorgt hat. So gab es auch eine sehr positive Rückmeldung aus Bern und einen Dank. Die Proben seien sicher nicht umsonst und falls sich Fälle häufen sollten und mehr Proben eingehen würden, dann kann eine Studie gestartet werden.

Am Ende habe ich nun noch eine Anmerkung, bzw. einen Gedanken.

Ballondilatation wird hauptsächlich in der Gefäßchirurgie und Kardiologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Gastroenterologie und Urologie eingesetzt. Daher ist es vielleicht hilfreich, wenn man im Fall von Atresia Ani einen Spezialisten aufsucht, der Erfahrung mit Ballondilatation hat. Die Arbeit von K. Tomsa , A. Major (Tierärztliche Spezialistenklinik, Hünenberg, Schweiz) und T.M. Glaus (Abteilung für Kardiologie der Universität Zürich) legen diesen Gedanken nahe. Die Arbeit berichtet über die erfolgreiche Behandlung mittels Ballondilatation von 5 Katzenwelpen im Alter von 3 – 8 Wochen und einem Hundewelpen im Alter von 4 Monaten (Atresia ani Typ I).


Gunn 21.02.2021 – 22.03.2021
Gute Reise kleiner Mann! R.I.P.




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