Paroxysmale Dyskinesie (PD)
05.01.2024 13:10

von Astrid Hübner und Dr. Sue Chandraratne

Nicht alles was zappelt hat Epilepsie

Paroxysmale Dyskinesien oder Bewegungsstörungen sind eine Gruppe von Erkrankungen, die durch Episoden abnormer Bewegungen bei Hunden und Katzen gekennzeichnet sind. Das bedeutet, dass Hunde und Katzen, die an dieser Erkrankung leiden, unwillkürliche und plötzliche Bewegungen ausführen können.

Begriffsbestimmungen:

Paroxysmal = anfallsweise auftretend
Dyskinesie = Störung des Ablaufs einer Bewegung


Symptome


Während des Ereignisses zeigen betroffene Hunde unwillkürliche Bewegungen einer oder mehrerer Gliedmaßen. Diese abnormen Bewegungen können gelegentlich von kurzer Dauer und relativ geringgradiger Ausprägung sein, wobei der Hund lediglich eine leichte Unsicherheit oder Inkoordination einer einzelnen Gliedmaße erkennen lässt.

Es sind jedoch auch sehr hochgradige Episoden möglich, die bis hin zu einem Kollaps führen und den gesamten Körper erfassen können, dies aber immer bei vollständig ungetrübtem Bewusstsein und vollständig erhaltener Aufmerksamkeit



Sobald eine Episode vorüber ist, erfolgt eine unmittelbare Erholung, das heißt, der betroffene Hund kommt sofort wieder auf die Beine und erscheint dann nahezu sofort wieder vollkommen normal.

Dies unterscheidet die Dyskinesie von einem länger anhaltenden epileptischen Anfall, bei dem im Anschluss an die Anfallsaktivität zunächst eine mehr oder weniger lange Phase der Desorientierung zu beobachten ist.

Während einer Dyskinesie-Episode bleibt die Aufmerksamkeit des betroffenen Hundes vollständig erhalten. Dies ist ein diagnostischer Schlüsselfaktor, da jeglicher Verlust des Bewusstseins oder der Aufmerksamkeit während einer Episode zum differenzialdiagnostischen Ausschluss dieser Erkrankung führen würde.

Diese Ereignisse sind selbstlimitierend und zwischen den Episoden haben die betroffenen Tiere langanhaltende normale Perioden ohne Anfälle.
Einige geringgradige Episoden können von relativ kurzer Dauer sein, hochgradige Episoden können dagegen mehr als eine Stunde anhalten.
Wichtig ist, dass paroxysmale Dyskinesien weder als lebensbedrohend gelten noch die Lebenserwartung beeinflussen, das heißt, betroffene Hunde haben oft ein langes Leben bis zum Ende ihrer Lebenserwartung.

Manche fokalen Anfälle der idiopathischen Epilepsie können nicht von der Paroxysmale Dyskinesie abgrenzt werden. Ein diagnostischer Schlüsselfaktor bei der Paroxysmale Dyskinesie ist, dass die Aufmerksamkeit des betroffenen Hundes vollständig erhalten bleibt. Hunde mit Anfällen, die nicht epileptischen Ursprungs sind, zeigen nach dem Anfall keine Veränderungen und somit keine Erholungsphase.

Was ist der Unterschied zu Epilepsie?





Im Unterschied zur Epilepsie gibt es vor einer Dyskinesie-Episode keine „Aura“ und nach einer dyskinetischen Episode werden keine postiktalen Symptome (Symptome nach Anfall) beobachtet.

Zwischen einzelnen dyskinetischen Episoden sind die betroffenen Hunde vollständig normal und zeigen keinerlei Probleme, bis die nächste Episode auftritt.

Paroxysmale Dyskinesien können über Stunden anhalten, im Anschluss kommt es aber im Unterschied zu längeren epileptischen Anfällen zu einer schnellen Erholung.

Häufigkeit, Grad und Dauer der dyskinetischen Episoden können sich dramatisch unterscheiden, und zwar sowohl zwischen verschiedenen betroffenen Hunden als auch bei ein und demselben Individuum.
Epileptische Anfälle sind bezüglich ihres Erscheinungsbildes und ihrer Dauer tendenziell eher einheitlich. Dies unterscheidet sie von paroxysmalen Dyskinesien, deren Episoden sich bezüglich der zu beobachtenden Bewegungen, der Häufigkeit und der Dauer dramatisch voneinander unterscheiden können.

Bei paroxysmalen Bewegungsstörungen kann im Gegensatz zu Epilepsie das Geschehen durch Eingreifen des Besitzers manchmal unterbrochen werden.
Außerdem können Hunde mitunter das Verhalten fortführen, was sie gerade eben getan haben, wie zum Beispiel spielen (DE RISIO et al., 2015).

Bei PD ist zudem ein anderer Gehirnbereich betroffen als bei Epilepsie. Unkontrollierter Urinverlust und speicheln spricht in der Regel eher für Epilepsie. Die Diagnostik ist die gleiche wie bei Epilepsie LINK zu „Hilfe mein Hund hat Anfälle“

Formen der Paroxysmale Dyskinesie



Bei der Dyskinesie wird zwischen hyperkinetischen und hypokinetischen Bewegungsstörungen unterschieden.

-Hypokinetisch bedeutet "die Hypokinese betreffend", "bewegungsarm" oder "bewegungsreduziert"

-Hyperkinetisch bedeutet "die Hyperkinese betreffend", "mit deutlich vermehrter Bewegungsaktivität"


Zu Hypokinetisch zählt zum Beispiel der „exercise induced collapse“ beim Labrador Retriever und Border Collie. Die Episoden treten bei diesen beiden Rassen ausschließlich bei Belastung auf. Labradore, die von EIC betroffen sind, können leichte bis moderate Belastung tolerieren, jedoch verursacht 5 bis 20 minütige, anstrengende Belastung bei extremer Aufregung zuerst Schwäche und dann einen Kollaps. Schwer erkrankte Hunde können jedes Mal kollabieren, wenn sie bis zu diesem Level trainiert werden – andere Hunde zeigen diese Kollaps-Episoden nur sporadisch. Beim Labrador gibt es mittlerweile einen Gentest, beim Border Collie noch nicht.



Zu Hyperkinetisch zählen zum Beispiel das „Episodic Falling Syndrome“ des Cavalier King Charles Spaniel, welches ohne Bewusstseinsverlust einhergeht und durch Anstrengung, Aufregung und Stress getriggert wird, der „scotty cramp“ des Scottish Terriers oder das „canine epileptoid cramping syndrom“ des Border Terriers. Beim Border Terrier ist es eine sehr spezifische Form der paroxysmalen Dyskinesie, bei der es sich um eine Manifestation der Glutenunverträglichkeit zu handeln scheint.



Ursachen


Es wird vermutet, dass die Mehrzahl der paroxysmalen Dyskinesien einen genetischen Hintergrund haben. Beim Labrador und anderen Retriever Rassen liegt die Ursache in der Fehlbildung von Dynamin 1 (DNM1), eines Neurotransmitters. Eine Missense-Mutation (c.767G>T) das DNM1-Gen ist dafür verantwortlich. Die Erbkrankheit wird autosomal-rezessiv vererbt.

Beim Border Terrier geht man davon aus, dass die PD das Ergebnis einer Dysfunktion in der Region der Basalganglien unter der Großhirnrinde ist.

In einer aktuellen Studie der Tierärztliche Hochschule Hannover stellten die Tierärztinnen und Tierärzte beim Shetland Sheepdog (Sheltie) fest, dass der Blutzuckerspiegel während eines Anfalls abfällt und auf einen niedrigen Normalwert sinkt. Ein mutiertes PCK-2-Gen ist hierfür der Auslöser. Im Urin der Hunde war vermehrt Laktat enthalten.

Diese oder eine ähnliche Form scheint es auch beim Belgier zu geben (siehe Fallbeispiel). Laut TiHo haben sie aber auch Belgische Schäferhunde in Behandlung, bei denen kein abfallender Blutzuckerspiegel festgestellt werden konnte.

Der niedrige Blutzuckerspiegel und die erhöhte Laktat-Konzentration im Urin untermauern die These, dass der Energiestoffwechsel der Hunde beeinträchtigt ist. Ihre Energiegewinnung scheint nicht optimal zu funktionieren. Deshalb treten die Anfälle auch hauptsächlich dann auf, wenn die erkrankten Hunde einen erhöhten Energiebedarf haben, wie beispielsweise beim Sport, Stress oder Bewegung in Wärme.

Zitat
Die Vermutung, dass diese Erkrankung zu Energiegewinnungsproblemen führt, ist die Grundlage für eine Behandlungsform: eine energiereiche Ernährung soll helfen.
„Die erkrankten Hunde erhielten Futter, das frei von Gluten und reich an Proteinen sowie der Aminosäure Tryptophan war. Diese essentielle Aminosäure ist an der Produktion von Serotonin beteiligt. Serotonin reduziert den Stress und so eine der Ursachen für die Anfälle. Zusätzlich zu der Diät erhielten die Hunde Medikamente. „Es wurden Anti-epileptika verabreicht, die sehr breit wirken und nicht nur gegen Anfälle helfen. Antiepileptika, die lediglich gegen Anfälle wirken, zeigten hier keine Wirkung“. Zusätzlich werden die Tierhalterinnen und Tierhalter dazu angehalten, den Stress und vor allem Stresspeaks, ihrer Tiere zu reduzieren, um so die Hauptursache für Anfälle zu minimieren. Die Kombination dieser drei Faktoren erwies sich als effektivste Behandlung der Paroxysmal Exercise-Induced Dyskinesia“. Zitat: Dr. Jasmin Neßler [2]



Fallbeispiel beim Malinois - Onyx vom roten Milan



Onyx war beim erstmaligen Auftreten von Symptomen 5 Jahre alt. Er war in 6 Kliniken, die alle auf Epilepsie getippt haben.



Anmerkungen zur Audiodatei:
Wir möchten hier noch zwei Dinge anmerken, die wissenschaftlich nicht ganz korrekt sind. Hunden mit Epilepsie sieht man im Normalfall auch zwischen den Anfällen nicht an, dass sie Epilepsie haben. Nicht grundsätzlich führen Anfälle zu so starken Hirnschädigungen, dass diese sichtbar sind. Epilepsie Medikamente haben nur in der Einstellungsphase die besagten Nebenwirkungen. Diese legen sich im Laufe der Behandlung fast immer vollständig.


Zitat
Zitat Besitzerin
„Bei Onyx trat es immer auf, wenn er Stress hatte. Wenn es draußen warm war und er sich noch sportlich betätigt hatte. So ist er beim Stellen und Verbellen einfach umgekippt. Oder wenn man ihn revieren geschickt hatte, hat man dann gesehen, dass er schon Schräglage bekommt - wenn er ankam, kippte er um. Er ruderte dann mit den Beinen, wie bei einem epileptischen Anfall, aber wenn man ihn dann genommen hat, auf den Bauch gedreht und ihn angesprochen hat: „Hey Junge, alles gut“, war er wieder voll da und hat dann auch angebissen. Er war also sofort wieder ganz klar. Deshalb war mir klar, dass es kein echter epileptischer Anfall sein kann. Ich bin über 3 Jahre von einem Tierarzt zum anderen gelaufen…. Man vermutete vage vielleicht eine leichte Form der Epilepsie. Daran hatte ich nie geglaubt. Bei Dr. Kamp kam es dann endlich zu einer Diagnose. Da man bereits in einer Klinik vorher festgestellt hatte, dass der Hund einen ganz leichten Herzfehler hat, der aber eigentlich zu minimal wäre, um solche Symptome hervorzurufen, wurde der Herzultraschall wiederholt. Während dieser Untersuchung fing Onyx an Stress zu bekommen und an zu kippen. Daraufhin hat der Arzt ihm Blut abgenommen und es stellte sich heraus, dass der Hund bei Stress unterzuckert. Die Empfehlung lautete, den Hund aus dem Leistungssport zu nehmen und möglichst Stress vermeiden. Wenn sich ein Anfall anbahnt, dann sollte ich ihm Traubenzucker geben. Dieser Empfehlung bin ich gefolgt. Mit dem Traubenzucker haben wir das ganze bis ins Alter gut hinbekommen.“



Fallbeispiel beim Groenendael



Bei diesem Groenendael-Rüden wurde mit 3 Jahren Paroxysmaler Dyskinesie diagnostiziert. Auch hat vorher der „Haus“-Tierarzt auf Epilepsie getippt. Erst der Besuch beim Fachtierarzt Dr.Dr. Berk brachte die Diagnose.

Seitdem der Rüde als Epileptikum Kaliumbromid und eine glutenfreie Ernährung bekommt, haben sich die Anfälle stark verringert. Anfallstrigger bei ihm sind Stress, aber nicht in Verbindung mit Bewegung. Laut Besitzerin ist es insbesondere ihr eigener Stress, der sich auf ihren Hund überträgt und so einen Anfall auslöst. Der Hund ist während seiner Anfälle jederzeit ansprechbar, versucht sogar Kommandos auszuführen, was meist nicht möglich ist oder sehr ungeschickt aussieht.

Seine Anfälle können sich auch über eine dreiviertel Stunde hinziehen. Früher hat er in solchen Fällen Diazepam bekommen. Da PD aber nicht wie beim Status epilepticus Hirnschäden verursachen kann, sitzt sie es heute einfach mit ihm aus. Es hilft ihm, wenn sie sich zu ihm setzt und ihn beruhigt (somit Anfallsdauer bis zu einer Stunde eher hyperkinetische PD).

FAZIT



• Anhand der Fallbeispiele sieht man, dass es ratsam ist, einen Hund mit Anfällen einem Neurologen vorzustellen – die meisten „Haus“ Tierärzte sind mit der Diagnostik und dem richtigen Erkennen überfordert.

• Die Diagnostik läuft ab wie bei Epilepsie – mehr dazu findet ihr auf unserer Homepage im Artikel „Hilfe, mein Hund hat Anfälle“

• Beim Belgier gibt es unterschiedliche Bewegungsstörungen. Wie man an den Beispielen sieht und wie auch die Tierärztliche Hochschule Hannover bestätigt, haben nicht alle Belgier einen Abfall des Blutzuckerspiegels, wie das bei Onyx der Fall ist.

• Es handelt sich bei Hunden mit paroxysmaler Dyskinesie, abgesehen von den intermittierenden Anfallsepisoden, um glückliche und gesunde Tiere. Die Lebenserwartung ist nicht reduziert, und die Einleitung einer Diät, Medikamente und/oder Stressreduktion sollten zu einer guten Langzeitremission führen


Die Facebook-Gruppe für betroffene Hundehalter ist sehr zu empfehlen.

Sollte euer Hund Symptome haben und ihr Hilfestellung benötigen oder ist euer Hund bereits diagnostiziert und ihr möchtet ihn für unsere Statistik melden dann schreibt uns info@belgian-shepherd.de







Quellen:
[1] Tierärztliche Hochschule Hannover – Vortrag Epilepsie, November 2022

[2] TiHo Anzeiger: Hochschulmagazin der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, 49. Jahrgang, September 2020
Ausgabe Nr. 3

[3] Leithner, Andrea: Beschreibung und Vergleich der klinischen Charakteristika von
Synkopen und epileptischen Anfällen bei Hunden, 2018 (https://edoc.ub.uni-muenchen.de/23388/7/Leithner_Andrea.pdf, abgerufen am 03/11/2022)

[4] Lowrie, Mark: Paroxysmale Gluten-sensitive Dyskinesie beim Border Terrier, 2019, vetfocus.royalcanin.com (https://vetfocus.royalcanin.com/de/wisse...-border-terrier, abgerufen am 03/11/2022)

[5] Gespräche mit Besitzern betroffener Hunde

[6] X MINOR et al., 2011

Informationen zu diesem Artikel
  • Erstellt von: Astrid Hübner
    Kategorie: Gesundheit
    05.01.2024 13:10:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 05.01.2024 18:54
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