In Abhängigkeit der Lage des Hodens muss hier zwischen inguinalem (Hoden liegt im Leistenspalt) und abdominalem Kryptorchismus (Hoden liegt im Bauchraum) unterschieden werden. Kryptorchismus kann ein- oder beidseitig auftreten. Einseitig kryptorchide Rüden durchlaufen eine normale sexuelle und körperliche Entwicklung. Beidseitig kryptorchide Rüden hingegen sind meist unfruchtbar.

Die Hoden entstehen in der embryonalen Entwicklung in der Nähe der Nieren. Etwa ungefähr in der Mitte der Trächtigkeit beginnt der Hodenabstieg. Bei der Geburt liegen die Hoden des Hundes noch im Bauchraum, jedoch (idealerweise) in der Nähe des Leistenkanals. Nach der Geburt kommt es zum vollständigen Hodenabstieg, die Hoden wandern durch den Leistenspalt in ihre endgültige Position im Hodensack. Der Hodenabstieg sollte in der sechsten bis zur achten Woche erfolgen und am Ende der achten Woche abgeschlossen sein [1]. Ein verspäteter Abstieg kann unter seltenen Umständen auch noch bis zum 6. Monat erfolgen. Danach ist dies nicht mehr möglich, da sich ab diesem Zeitpunkt der Leistenkanal verengt und die Hoden denselben nicht mehr passieren können [1]. Entgegen häufig geäußerter Meinung führt eine medikamentöse, hormonelle Behandlung um den Hodenabstieg bis zum 6. Lebensmonat zu fördern, selten zum Erfolg [1].

Die Hoden liegen normalerweise außerhalb der Körperhöhle im Hodensack, da diese, um optimal zu funktionieren, eine geringere Temperatur benötigen als die Körperkerntemperatur. Durch die Verlagerung des Hodens in den Hodensack kann seine Temperatur einige Grade unter der Körpertemperatur gehalten werden. Dies ist elementar wichtig für die Spermienproduktion und hat auch einen Einfluss auf die Bildung der Hormone durch den Hoden [2].

Insbesondere die Hoden die im Bauchraum verbleiben (abdominal), sind dauerhaft zu warmen Temperaturen ausgesetzt und haben mit zunehmendem Alter des Hundes ein stark erhöhtes Risiko für eine tumoröses Entartungsrisiko [4]. Ein weiteres Problem bei abdominal gelegenen Hoden stellt die Hodentorsion (Hodendrehung) dar. Dies ist sehr selten, aber ist immer ein medizinischer Notfall. Betroffene Hunde müssen – insbesondere, wenn Teile des Darms mit betroffen sind - umgehend operiert werden [4].

Gelingt der Hodenabstieg nicht, ist die chirurgische Entfernung des nicht abgestiegenen Hodens (Kastration) angeraten, wenn dieser abdominal, also in der Bauchhöhle liegt. Die Entfernung der Hoden muss nicht im Welpenalter durchgeführt werden, sollte aber in den ersten drei Lebensjahren erfolgen, um eine mögliche Entartung zu verhindern. Der gesunde Hoden im Skrotum kann verbleiben [10].
Ein inguinaler Kryptorchismus (Hoden in der Leiste fühlbar) muss überhaupt nicht operiert werden, da der Hoden ggf. durch die Haut zu fühlen ist, permanent mittels Ultraschalluntersuchung kontrollierbar bleibt und bei einer tumorösen Entartung jederzeit entfernt werden kann [10].

Die Kastration kann "klassisch" mittels Bauchschnittes erfolgen, alternativ hierzu gibt es jedoch auch die Möglichkeit eines minimalinvasiven Eingriffs mittels Bauchspiegelung (Laparoskopie) [3]. Ein stationärer Aufenthalt nach Operation ist in der Regel nicht erforderlich. Nach Abklingen der Narkose darf der Hund mit nach Hause genommen werden. Ruhighaltung bis zur Nahtentfernung und das Tragen eines Halskragens oder Bodys, um Lecken an der Wunde zu verhindern, sind unabdingbar. Nach 10 - 12 Tagen werden in der Regel die Nähte entfernt.

Kryptorchismus ist erblich bedingt. Der Erbgang erfolgt autosomal rezessiv und polygen, es werden mindestens 20 Gene damit assoziiert [1]. Wichtig zu verstehen ist, dass die verschiedenen Phasen des Hodenabstiegs durch unterschiedliche Hormone und somit auch durch unterschiedliche Gene kontrolliert werden [2]. Die Häufigkeit des Auftretens von Kryptorchismus beim Rüden liegt zwischen 1 – 7 % und ist stark abhängig von der Rasse und den einzelnen Zuchtlinien [4]. Dabei tritt Kryptorchismus häufiger bei reinrassigen Hunden als bei Mischlingen auf [9]. Mit kryptorchiden Rüden sollte keinesfalls gezüchtet werden.

Weitere Hoden- und Lageanomalien die selten sind aber auftreten können, sind die Anorchie - häufig Anorchismus genannt - und der Monorchismus. Diese Begriffe beschreiben weitere Defektanlagen der Hoden, die seit der Geburt bestehen. Unter Monorchie - auch Monorchismus oder Einhodigkeit genannt - versteht man eine Anomalie des männlichen Geschlechtsorgans, bei der ein Hoden im Hodensack fehlt oder vollständig funktionsunfähig ist [7]. Anorchie ist eine Anomalie des männlichen Genitals, bei der von Geburt an beide Hoden fehlen oder vollständig funktionsunfähig sind [6].
Es gibt noch viele weitere Arten der Fehlentwicklungen des männlichen Geschlechtsorgans beim Hund bekannt. Diese sind jedoch selten und alle hier aufzuführen würde den Rahmen des Artikels sprengen. Erwähnt werden soll hier allerdings noch der Reflex des Musculus kremaster, der sogenannte „Kremasterreflex“.

Es gibt bei dem einen oder anderen Rüdenwelpen ab und an eine Besonderheit: Den Reflex des Musculus cremaster, auch „Kremasterreflex“ genannt.
Es gibt immer wieder Züchter, die von kurzzeitigen verschwundenen Hoden nach Schreck oder Aufregung beim Welpen berichten. Beim sogenannten ‚Kremasterreflex‘ können die Hoden des Welpen tatsächlich kurzzeitig in den Leistenkanal zurück rutschen. Dies ist in extrem seltenen Fällen der Fall, zum Beispiel durch einen hyperaktiven Reflex des Musculus cremaster. Dieses Bild ist auch aus der Humanmedizin bekannt [5]. Dies ist aber kein dauerhafter Zustand und dauert in der Regel nur ein paar Minuten bis maximal wenigen Stunden an. Diesen Reflex ist physiologisch und hat prinzipiell jeder Rüde. Bei dem einen Welpenrüden ist er mehr ausgeprägt, beim anderen Welpenrüden weniger.
Ein Hoden der permanent fehlt, ist definitiv ärztlich abzuklären und kein Reflex durch Aufregung oder Erschrecken! Dieser Reflex bleibt übrigens ein Leben lang bestehen und ist dafür zuständig, dass die Hoden näher an den Körper gezogen werden können, wenn nötig. Zum Beispiel bei sexueller Erregung des Rüdens. In der Regel verschwinden die Hoden aber im Erwachsenenalter nicht mehr im Leistenkanal, da dieser sich ab dem 6. Lebensmonat verengt.

Erfahrungsbericht Kryptorchismus

Unser Tervuerenrüde Anouk wies einen beidseitigen Kryptorchismus auf. Ein Hoden lag im Leistenspalt, der andere im Bauchraum. Die Diagnose Kryptorchismus kam unerwartet, wir hatten ursprünglich vor, Ausstellungen zu besuchen und die Zuchtzulassung zu erlangen.
Anfangs waren wir etwas enttäuscht, jedoch ist das Wichtigste für uns, dass unser Hund gesund ist, denn alles andere ist zweitrangig. Wir haben uns ursprünglich für die minimalinvasive Kastration mittels Laparoskopie entschieden. Vorteile hierfür sind [3]:
- Es werden nur drei kleine Einstiche (jeweils etwa 5 mm) benötigt, ein großer Bauchschnitt wird vermieden.
- keine Nahtdehiszenz
- Kein Leinenzwang, Bewegungsfreiheit bereits kurz nach der Operation möglich
- Ein besseres kosmetisches Ergebnis

Im Rahmen der OP stellte sich heraus, dass ein Hoden im Bauchraum lag und einer im Leistenspalt. Wir gingen vor der OP davon aus, dass beide Hoden im Bauchraum lagen. Dies war bei der vorhergehenden Ultraschalluntersuchung nicht immer hundertprozentig eindeutig identifizierbar.

Schlussendlich wurde der abdominal gelegene Hoden mittels Laparoskopie und der inguinal gelegene Hoden mittels klassischem OP-Verfahren entfernt.

Da der inguinal gelegene Hoden klassisch operiert und genäht wurde, bestand bis zum Fädenziehen eine 10-tägige Leinenpflicht. In dieser Zeit hat unser Rüde Anouk als "Leckschutz" einen Body sowie auch einen aufblasbaren Halskragen getragen.




Quellen:
[1] 2. Deckrüdenseminar der LMU München, Referentin Christiane Otzdorff, vom 05.10.2020

[2] Furter, Benjamin: Vererbung des Kryptorchismus beim Berger Blanc Suisse; Dissertation, Vetsuisse-Fakultät Universität Zürich, 2014.

[3] Internetpräsenz der Tierklinik Elversberg zum Thema ‚Minimalinvasive Kastration - Endoskopische Kastration‘: https://www.tierklinik-elversberg.de/lei.../onkologie.html (Stand 16.07.2023)

[4] https://www.anicura.de/fuer-tierbesitzer...orchismus-hund/ (Stand 16.07.2023)

[5] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Musculus...emdreflex%20ist. (Stand: 25.05.23, 22:16 Uhr), Anmerkung: Beschreibung zum Reflex beim Menschen, der beim Hund sehr ähnlich ist.

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Anorchie (Stand 16.07.2023, 15:19 Uhr)

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Monorchie (Stand 16.07.2023, 15:19 Uhr)

[8] Pizzi, Giulia; Groppetti, Deobra; Brambilla, Eleonora; Pecile, Alessandro; Grieco, Valeria; Lecchi, Cristina: MicroRNA as epigenetic regulators of canine cryptorchidism, Research in Veterinary Science, Volume 162, September 2023, 104961
Link und Link (Stand 05.08.2023)
[9] Yates, D., Hayes, G., Heffernan, M., Beynon, R., 2003. Incidence of cryptorchidism in
dogs and cats. Vet. Rec. 152, 502–504
https://bvajournals.onlinelibrary.wiley....6/vr.152.16.502 (Stand 05.08.2023)

[10] https://www.tierpraxis-leipzig.de/tag/hodenverlagerung/ (Stand 05.08.2023)