Spongiöse Kleinhirndegeneration mit zerebellarer Ataxie (SDCA2)
09.09.2022 09:14

von DR. MED. VET. SUE CHANDRARATNE

Die SDCA2 ist ein Untertyp einer neurodegenerativen Erkrankung, die als schwammige Degeneration mit einer Störung der Bewegungskoordination (cerebellärer Ataxie) bekannt ist und die Hunderasse Belgischer Schäferhund betrifft.

SDCA2 ist eine sehr unterschiedlich verlaufende Erkrankung in Bezug auf den Krankheitsbeginn, die Schwere der Erkrankung und die festgestellten Läsionen im Gehirn. Die Symptome treten beim Welpen im Alter von ca. 4 bis 6 Wochen auf. Die Hauptsymptome sind eine breite, ataktische Gangart, die hauptsächlich bei den Hinterextremitäten auffällig ist, Gleichgewichtsverlust und mangelhafte Bewegungskoordination (Stolpern, Taumeln, Umfallen, Zittern). Bei den betroffenen Welpen kann ein schwankender, breitbeiniger Gang beobachtet werden. Auf diese Art versuchen die Hunde Stabilität zu gewinnen und ihre Koordination zu verbessern. Die Prognose verschlechtert sich und endet gewöhnlich durch Euthanasie des betroffenen Welpen.

Die Krankheit wird durch eine Mutation im ATP1B2-Gen (überwiegend im Gehirn, insbesondere im Kleinhirn exprimiert) verursacht. Dieser Gendefekt führt zu einer Störung der Funktion von Kaliumkanälen im zentralen Nervensystem und wird mit neurologischen Störungen wie cerebelläre Dysfunktion (Bewegungsstörungen) und Epilepsie verbunden.

Das Kleinhirn ist wichtig für das Gleichgewicht und die Koordination. Gemeinsam mit dem Großhirn koordiniert es die Muskeln und somit die Bewegungen. Außerdem trägt es wesentlich dazu bei, dass die Muskelspannung des Körpers erhalten bleibt. Während das Großhirn vorrangig für bewusste Bewegungen zuständig ist, steuert das Kleinhirn bereits gelernte Bewegungsabläufe.

Die Mutation betrifft ein anderes Gen als SDCA 1, führt aber ebenso zu einer Störung der Kaliumkanäle wie Typ 1. SDCA2 ist, wie SDCA1, ebenso eine autosomal rezessiv vererbte Krankheit. Die Geburt von betroffenen Welpen kann sicher ausgeschlossen werden, wenn bei Verpaarungen darauf geachtet wird, dass mindestens eines der beiden Zuchttiere frei von dem Gendefekt ist.

Genetisches Schema der involvierten Tiere der Studie und deren Verwandtschaft





Ausgefüllte Symbole repräsentieren Tiere mit zerebellärer Dysfunktion. Zahlen geben Hunde an, von denen Proben verfügbar waren. Sechs Hunde, die von SDCA1 (KCNJ10:c.986T>C) betroffen sind, sind durch rote Konturen gekennzeichnet. Vier betroffene Geschwister aus Familie 6, die die zuvor identifizierte KCNJ10-Variante nicht trugen, sind durch blaue Konturen gekennzeichnet.

251 andere Malinois, 25 Groenendael, zwei Laekenois, 35 Tervueren und 503 Hunde genetisch unterschiedlicher anderer Rassen wurden in der Studie genotypisiert. Die Variante für SDCA2 wurde nicht außerhalb der Belgischen Schäferhundpopulation gefunden, kam aber auch in heterozygotem Zustand bei 38 Malinois, einem Groenendael und sieben Tervueren-Hunden vor.

Statistik aus unserer Datenbank. Die Daten werden regelmässig aktualisiert:



Fallbeispiel „I-Wurf THE FLYING EAGLES“



Nach einer ‚normalen‘ Geburt mit 12 Welpen, von denen einer tot auf die Welt kam, entwickelten sich die verbliebenen Welpen zunächst gleichmäßig. Mit zwei Wochen hatten zwei von ihnen extreme Bauchschmerzen sowie Blähungen und mussten zwingend tierärztlich behandelt werden.

Mit vier Wochen zeigten zwei Welpen des Wurfes ein ungewöhnliches Verhalten: Da sie gegen Wände und Gegenstände liefen, entstand der Eindruck, dass sie blind seien, jedoch legte sich die Symptomatik am nächsten Tag. Bereits zwei Tage später zeigten sich erneut vier Welpen auffällig – einer stärker, die anderen drei weniger ausgeprägt. Der stark betroffene Welpe lief erneut orientierungslos im Kreis und gegen Wände und Gegenstände. Am Folgetag verschlimmerte sich die Symptomatik und zu der Orientierungslosigkeit gesellte sich lautes und gequältes Jammern. Ruhe zu finden war dem Welpen nicht möglich und er lief weiter gegen Wände und alle möglichen Gegenstände. Auch die Bewegungsabläufe waren gänzlich gestört. Die anderen drei Welpen zeigen ein ähnliches, aber deutlich weniger stark ausgeprägtes, auffälliges Verhalten. Alle vier Welpen wurden in die Tierklinik verbracht und zunächst mit Verdacht auf Vergiftung aufgenommen. Der am stärksten betroffene Welpe musste zwei Tage später euthanasiert werden, nachdem er immer schwächer wurde und anhaltende epileptische Anfälle zeigte. Der Körper wurde der Pathologie übergeben.

Der Zustand der drei anderen betroffenen und behandelten Welpen verbesserte sich jedoch, was zunächst die Annahme einer Vergiftung bestärkte. Ophthalmologische Untersuchungen bestätigten jedoch, dass alle drei blind waren. Es wurde jedoch erwartet, dass sie nach dem Gesunden auch wieder normal würden sehen können.

Aufgrund der mutmaßlichen Vergiftung mussten die Welpen sofort abgestillt und auf Welpenfutter umgestellt werden. Im Alter von 4,5 Wochen konnten die anderen drei Welpen nach Hause zurückgeholt werden.

Alle zehn verbliebenen Welpen entwickelten aufgrund der abrupten Futterumstellung starken Durchfall, welcher sich trotz Medikamentengabe verschlimmerte. Der erste Autopsie-Bericht des euthanasierten Welpen bekräftigte zunächst erneut den Verdacht auf eine Vergiftung. Mit 5 Wochen verschlechterte sich der Zustand von zwei der drei zuvor klinisch behandelten Welpen erneut: Sie verweigerten die Futteraufnahme und ihre Bewegungsabläufe wurden immer gestörter. In der Folge mussten beide eingeschläfert werden. Ihre Körper wurden der Uni Bern zu Forschungszwecken übergeben.

In der sechsten Woche entwickelte der letzte verbliebene der bisher betroffenen Welpen epileptische Anfälle und zeigte immer ataktischer werdende Bewegungsmuster. In der Nacht lag er nach lautem Schreien auf der Seite, eine Blutlache vor der Nase. Er verstarb auf dem Weg in die Klinik.

Vom starken Durchfall bei der Futterumstellung abgesehen, entwickelten sich die anderen 7 Welpen normal und erschienen kerngesund.

Die Forschungsabteilung der Uni Bern meldete sich zwei Tage vor der Welpenabgabe telefonisch bei der Züchterin: Eine Vergiftung wurde ausgeschlossen und als Ursache ihrer Leiden eine Belgier-Ataxie festgestellt, die zwar bekannt war, für welche jedoch bis dahin kein „Material“ für die Erforschung vorhanden gewesen war.

Dank der Mithilfe und der Einsendung von Blutproben aller Geschwister des Wurfes, wie auch der Elterntiere und von vielen Verwandten, konnte die Forschung zu dieser Ataxie-Form neu gestartet werden. Einige Zeit später wurde der Gentest für SDCA2 entwickelt und zur Verfügung gestellt.

Neuropathologischer Bericht:



Link zum Video

Durch den Einsatz der Züchterin Christa Wermelinger konnte diese Form der Ataxie erforscht werden und der Gentest für SDCA-2 entwickelt werden. Vielen Dank Christa für deinen Einsatz!!!






Referenz:

Nico Mauri, Miriam Kleiter, Elisabeth Dietschi, Michael Leschnik, Sandra Högler, Michaela Wiedmer, Joëlle Dietrich, Diana Henke, Frank Steffen, Simone Schuller, Corinne Gurtner, Nadine Stokar-Regenscheit, Donal O’Toole, Thomas Bilzer, Christiane Herden, Anna Oevermann, Vidhya Jagannathan and Tosso Leeb: A SINE Insertion in ATP1B2 in Belgian Shepherd Dogs Affected by Spongy Degeneration with Cerebellar Ataxia (SDCA2); G3: GENES, GENOMES, GENETICS Early online June 15, 2017; https://doi.org/10.1534/g3.117.043018

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