Leistungsbremse Inzucht
26.08.2022 09:17

von Alexandra Ritter

Diskussionen rund um die Inzucht werden meist sehr emotional geführt.

Genetiker und Veterinärmediziner warnen schon lange vor der Fortführung von veralteten Methoden der Hundezucht. Viele, auch erfahrene Züchter dagegen, können sich ohne Inzucht keinen Zuchterfolg vorstellen. Richtig eingesetzt sei sie ein mächtiges Instrument, allerdings nur erfolgreich in der Hand des erfahrenen Züchters. Das Auftreten von Erbkrankheiten sei lediglich ein Aufdecken der bereits vorhandenen Defektgene.

Wer von uns kennt diese Aussagen nicht?

Zitat
“ In der Hand des erfahrenen Züchters ist die Inzucht jedenfalls die beste Methode, um sein Zuchtmaterial zu vervollkommnen und konstant sich vererbende, homozygote Zuchtstämme zu erhalten…“

Zitat Wachtel S.41



Zitat
„Durch Inzucht können gute und schlechte Anlagen gesteigert und erblich gefestigt werden…. die Inzucht kann verborgene und undeutliche üble Eigenschaften an den Tag bringen und so die Ausmerzung erblich bedenklicher Einzeltiere und ganzer Zuchtfamilien ermöglichen.“

Zitat Wachtel S.41



Inzucht bedeutet eine Verpaarung verwandter Tiere. Eine Verwandtschaft besteht, bei einem oder mehrerer gemeinsamer Ahnen. Inzucht wird in der Literatur nochmals in Inzestzucht (Engste Inzucht), Linienzucht (Nahe Inzucht) und Auszucht (Weite Inzucht) unterteilt. Inzestzucht ist z.B., die Verpaarung von Vollgeschwistern, Halbgeschwistern oder von Eltern mit ihren Kindern (Berechnete Verpaarungen die einen theoretischen IK von 12,5 – 25 % ergeben). Linienzucht nennt man eine Verpaarung von Tieren, die verwandtschaftlich etwas weiter entfernt sind, wie z.B. Vetter x Kusine (Berechnete Verpaarungen die einen theoretischen IK von 6,25 – 9,38 % ergeben). Bei Auszuchten werden Tiere verpaart, die fünf bis sechs Generationen lang keine gemeinsamen Ahnen aufweisen (Berechnete Verpaarungen die einen theoretischen IK von 1,56 – 3,13 % ergeben).

Für jede Zuchtmethode haben wir ein Beispiel gewählt. Zu beachten sind hier die theoretischen IK (Berechnet durch Working Dog) im direkten Vergleich mit den tatsächlichen, genetischen IK (Analysiert durch Embark).

BEISPIEL INZESTZUCHT



2-2 Inzucht auf Riki du Vieux Marronnier (Halbgeschwisterverpaarung)





Eine Halbgeschwisterverpaarung mit einem theoretischen IK von 19,14% aus 5 Generationen errechnet. In der Realität hat dieser Rüde aber einen genetischen IK von 33% (Embark)

BEISPIEL LINIENZUCHT



2-3 Inzucht auf Ko von Löwenfels




Klassische Inzucht mit einem theoretischen IK von 6,25% aus 5 Generationen errechnet. In der Realität hat diese Hündin aber einen genetischen IK von 23% (Embark)

BEISPIEL AUSZUCHT



Keine Inzucht über 5 Generationen.



Auszucht mit einem theoretischen IK von 0% aus 5 Generationen errechnet. Zwei Nachkommen aus dieser Verpaarung wurden bei Embark auf den genetischen IK ausgewertet. Der Rüde hat einen gIK von 11% und die Hündin einen gIK von 9%

Der Inzuchtkoeffizient und der Ahnenverlustkoeffizient eines Hundes oder einer geplanten Verpaarung können an Hand der Ahnentafel berechnet werden. Der Inzuchtkoeffizient gibt die Wahrscheinlichkeit der Homozygotie an, während der Ahnenverlustkoeffizient Rückmeldung über die genetische Varianz oder Diversität gibt, die ein Nachkomme von seinen Eltern erben kann. Bei diesen Berechnungen bekommt man allerdings nur einen Wahrscheinlichkeitswert, der stark von der Generationstiefe abhängig ist nach welcher er berechnet wird. Heute ist es möglich den Inzuchtkoeffizienten eines Hundes durch genetische Marker darzustellen. Diese zeigen eine wesentlich genauere Einschätzung des Homozygotiegrades.

Je höher das Inzuchtniveau einer Rasse ist, desto höher ist ihre Homozygotie, denn sie ist eine direkte Folge von Inzucht. Züchterisch genutzt, erhält man so schnell die Homozygotierung erwünschter Gene, die sich rasch in einer Population oder Linie fixieren lassen. Der große Nachteil ist, dass auch gleichzeitig viele andere Genorte homozygot werden. Folge sind Inzuchtdepressionen.

Inzuchtdepressionen



Inzuchtdepressionen sind durch zwei Mechanismen zu unterscheiden. Grundlage bilden hier ein spezifischer und ein unspezifischer Mechanismus der Inzuchtdepression.

SPEZIFISCHER MECHANISMUS



Vom spezifischen Mechanismus spricht man, bei der Homozygotisierung bestimmter Defektgene.

Fast jeder Hund trägt ca. 50 -100 rezessive Defektgene (Defektmutationen). Die meisten Defektgene vererben sich rezessiv und kommen in einem heterozygoten Genotyp nicht zur Wirkung. Lange Zeit bleiben sie in einer Population unerkannt, werden aber durch den allgemeinen inzuchtbedingten Anstieg homozygot und machen sich dann bemerkbar. Es kommt zum Auftreten von Erbkrankheiten. Häufig eingesetzte Deckrüden verbreiteten ihre Defektgene, die sich weit in einer Population verstreuen. Fast jeder genetische Defekt lässt sich auf einen Vielvererber (Deckrüden) viele Generationen zuvor, zurückverfolgen. Bei steigendem Inzuchtniveau werden viele rezessive Allele nicht mehr durch ihren dominanten Gegenspieler neutralisiert, weshalb sich viele negative Merkmale ausprägen können. Außerdem werden bei diesen Inzuchtprozessen auch viele andere Gene homozygot und polygene Defekte, bei denen nicht nur ein Allel, sondern zahlreiche Allele beteiligt sind, gelingt es an die Ausbruchsschwelle zu treten. Oft kommt es vor, dass urplötzlich neue Defekte in einer Rasse auftauchen. 1928 waren es noch 5 bekannte Erbkrankheiten bei Hunden, im Jahr 2000 waren es 450 und bis 2016 sind sie auf über 500 gestiegen.

Beim Malinois treten in den letzten Jahren immer mehr Fälle der Schäferhund Keratitis auf. Eine Autoimmunerkrankung, die das Auge betrifft und zur Erblindung führen kann. Aber auch von Erkrankungen, wie Trachealspasmus, oder dem Megaösophagus hört man immer öfter. Nun weiß man natürlich nicht, ob diese nur jahrelang erfolgreich verheimlicht werden konnten, oder ob sie tatsächlich neu sind. Beides ist nicht gut! Erinnern wir uns an die verschiedenen Typen der Ataxie. Erst durch eine verantwortungsvolle Züchterin ist vor ein paar Jahren öffentlich geworden, was viele schon sehr lange wussten. Damals wurden solche Probleme den Fluss runter gespült, heute haben wir dank dieser Züchterin Gentests und diese Krankheit hat ihren Schrecken verloren. Heute können Gentests Aufschluss geben, ob Hunde Träger einer Erbkrankheit sind. Embark testet derzeit auf ca. 200 Erbkrankheiten und gibt regelmäßig ein kostenloses Update, wenn eine neue Krankheit getestet werden kann. Auf diese Weise können Träger einer Krankheit problemlos mit freien Hunden verpaart werden. Konsequent eingesetzt, könnten so viele Krankheiten ausgeschlichen werden. Neben SDCA 1 und 2 und CJM, sind für den Malinois z.B. noch Degenerative Myelopathie (DM), Mucopolysaccaridose Typ VII, Hämophilie A, MDR1 (Drug sensitivity) und angeborene Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) von Bedeutung. Auf diese Erbkrankheiten können Hunde bereits durch verschiedene Labore getestet werden.

UNSPEZIFISCHER MECHANISMUS



Der unspezifische Mechanismus einer Inzuchtdepression wird durch das schlechtere Anpassungsvermögen homozygoter Hunde erzeugt. Man muss sich das folgendermaßen vorstellen, Hunde die verschiedene Varianten eines Gens (heterozygot) tragen, haben für verschiedene Umweltbedingungen immer mindestens eine passende Genvariante. Machen wir es am Beispiel der Hitze- oder Kälteempfindlichkeit fest. Immer wieder hört man von langjährigen Züchtern und Hundesportlern, dass Malis immer hitzeempfindlicher werden. Früher habe der Malinois bei Hitze besser gearbeitet und zeigte keinerlei Probleme. Als Beispiel nehmen wir drei Malinois und stellen uns zwei Varianten vor. Variante A (blau) reagiert besser auf eine niedrigere Umwelt- und Körpertemperatur. Variante B (rot) hat ihre Komfortzone bei höheren Temperaturen. Mali A der homozygot auf Variante A ist, wird bei steigenden Temperaturen Einschränkungen zeigen. Mali B der homozygot auf Variante B ist, wird bei fallenden Temperaturen Probleme bekommen. Der heterozygote Mali C (gelb) dagegen, hat für jedes Wetter eine passende Antwort im Gepäck und kann bei niedriger als auch höherer Temperatur seine volle Muskelkraft und Leistung einsetzen.

Die Bildgeschichte zeigt den gelben, heterozygoten Malinois C mit lachendem Gesicht, der das ganze Jahr über gut arbeiten kann. Während die Leistung der homozygoten Malinois A und B stärker vom Wetter, bzw. den Temperaturen abhängig ist.



ÜBERDOMINANZEFFEKT



Es ist ein sogenannter Überdominanzeffekt, der die bessere Anpassungsfähigkeit heterozygoter Genotypen beschreibt. Er ist eine Grundlage des Heterosiseffektes (Effekt für eine besonders ausgeprägte Leistungsfähigkeit).

Der Überdominanzeffekt, aber auch einfache Dominanzeffekte erklären die Überlegenheit der höheren Heterozygotie.

Zitat
„Rezessive Gene kodieren in den meisten Fällen unwirksame oder weniger wirksame Proteine. Tiere mit einem höheren Anteil an heterozygoten Genorten haben somit auch an mehreren Genorten zumindest eine Kopie des dominanten Gens, das die funktionierende Variante des Genproduktes kodiert, während Tiere mit einem höheren Anteil an homozygoten Genorten auch einen höheren Anteil an rezessiven Genen, die Proteine mit eingeschränkter oder fehlender Funktionsfähigkeit kodieren, in doppelter Dosis tragen.“

Zitat Sommerfeld, S.196:



FITNESS



Die Heterozygotie an vielen Genorten ist Grundlage der genetischen Vielfalt und damit verbunden von Fitness. Fitness besitzt ein Hund, wenn er vital, gesund, fruchtbar und langlebig ist. Nur so kann er möglichst viele Nachkommen produzieren. Aus populationsgenetischer Sicht wird Fitness an dem Anteil der Nachkommen eines Hundes aus der Folgegeneration bemessen. Der Heterosiseffekt führt auf individueller, aber auch auf Populationsebene zur Verbesserung der Fitness und somit sorgt er langfristig für Überlebenschancen.

In der Natur gibt es eine wirklich harte, natürliche Auslese die Inzuchtdepressionen nicht entstehen lässt. Für diese Auslese ist man als Züchter weder bereit noch berechtigt. Es gibt zur Vermeidung von Inzuchtdepressionen durch natürliche Selektion einen Modellversuch. Die Trumler’schen Wildhunde. Trumler schreibt 1988 über seine Wildhundpopulation in seiner Station Wolfswinkel. Das Rudel war Hitze, Kälte und Nässe ausgesetzt, es wurde nicht geimpft (Kamen allerdings mit anderen Hunden nie in Berührung) und gefüttert wurde mit Schlachtabfällen. Schwächliche Welpen wurden von ihrer Mutter „beseitigt“ und laut Trumler kamen nur Hunde zur Fortpflanzung, die zu Hundertprozent erbgesund waren und deren Instinkte intakt waren. Mangels fremder Blutzufuhr verpaarten sich natürlich auch hier irgendwann verwandte Hunde, doch durch die natürliche Auslese konnten die Mehrzahl der Gene in heterozygoter Kombination bei dieser Population erhalten bleiben. Die Hunde waren robust und gesund. Allerdings traten nach 30 Jahren auch hier erste Probleme auf. Unbegrenzt ist die Inzuchtdepression in kleinen Populationen auch unter diesen Umständen nicht aufzuhalten.

„Die Haustierwerdung ist ein Verlustgeschäft“, so Trumler:



In diesem Zusammenhang ist es nicht überraschend, dass verschiedene Studien zum Ergebnis kamen, dass eine Selektion auf Leistung Heterozygotie fördert. Hunde aktiver Gebrauchsrassen sind gesünder und leistungsfähiger, als Schaurassen. Am deutlichsten ist das Ergebnis bei Rassen, die wirklich anstrengende physische und psychische Arbeit leisten, wie Jagdhunde, Schlittenhunde, Hütehunde. Natürlich nur wenn sie auch aus den Arbeitslinien kommen und auf Leistung selektiert werden. Geringer ausgeprägt ist es bei Dienst- und Gebrauchshunderassen. Grund hierfür ist, dass alle Merkmale der Vitalfunktionen und der typischen Hererosiseigenschaften eine niedrige Vererblichkeit besitzen und von der genetischen Vielfalt abhängig sind. Die Erblichkeit (Heritabilität) dieser Eigenschaften schwanken zwischen 10 bis 20 Prozent und werden durch Heterozygotie am besten gefördert. Diese Eigenschaften machen Arbeits-, Dienst,- und Gebrauchshunde aus und daher selektiert Leistung auf Heterozygotie, wobei die Ansprüche an die richtigen Arbeitsrassen noch höher sind und daher die Gebrauchshunde etwas schlechter abschneiden. Aber auch hier muss man natürlich unterscheiden, denn es gibt mittlerweile in jeder dieser Rassen ein Schaulager. Auch hier bestätigt sich die Regel, Hunde des Schaulagers haben ein höheres Inzuchtniveau. Hier ist es genau anders herum, die Vererblichkeit von Merkmalen der Konformation, wie Größe, Gewicht, Körpermaße, Fellfarbe usw. besitzen eine hohe Erblichkeit im Bereich von 30 bis 80 Prozent. Diese Merkmale werden durch eine Homozygotierung fixiert und sind direkte Folge von Inzucht, wie oben bereits erwähnt. Eine Erhöhung des Inzuchtkoeffizienten wiederum senkt die Merkmale der Fitness.

Zitat
„Daher senkt im allgemeinen eine Erhöhung des Inzuchtkoeffizienten um 10 Prozent die Merkmale der Fitness um fünf bis zehn Prozent.“

Zitat Wachtel S. 74:



Die folgenden Glockenkurven zeigen einmal die Verteilung des genetischen Inzuchtkoeffizienten der Malinois und einmal der Dobermänner. Sie entsprechen den Daten die Embark zur Verfügung stehen.

Tatsächlich hat der Malinois im direkten Vergleich zum Dobermann einen wesentlich geringeren Mittelwert des Inzuchtkoeffizienten. Beim Dobermann sieht man neben dem wesentlich höheren Mittelwert, zusätzlich noch ein längeres Plateau und ein langes Auslaufen bis hin zum Extremwert von 50 Prozent. Der Dobermann ist eine Gebrauchshunderasse, aber über die Jahre sehr schaulastig geworden.

Glockenkurve Malinois und Dobermann:





Selektionsbedingte Homozygotierung ist eine Reduktion der genetischen Varianz (Diversität, Vielfalt) einer Population. Selektion gehört daher auch zu der Gruppe der Faktoren die zum Verlust an genetischer Vielfalt führen. Durch Selektion will man züchterisch ein Merkmal bearbeiten. Voraussetzung dafür ist, dass noch ausreichend Merkmalsvarianz in einer Population vorhanden ist. Eine reduzierte Varianz verringert auch den Selektionsfortschritt. Ist die Varianz eines Merkmals zu gering, ist auch die Selektionsdifferenz gering und damit auch der Selektionserfolg. Der Selektionserfolg ist in der ersten Generation am größten und nimmt von Generation zu Generation ab. Irgendwann kommt es zur Erschöpfung der genetischen Varianz, Selektion ist an dieser Stelle nicht mehr möglich. Es ist ein Selektionsplateau erreicht. Das große Problem ist, dass die genetische Varianz unwiderruflich verloren gegangen ist und sich der erzielte Zuchterfolg nicht mehr rückgängig machen lässt. Beim Mops z.B. hat die vorhandene genetische Varianz in der Rasse nicht mehr dazu ausgereicht, eine Verlängerung des Gesichtsschädels zu bewirken. Wenn es keine, oder nur wenige Hunde mit längerem Schädel gibt, da man sie vorher erfolgreich „weg gezüchtet“ hat, dann hat es sich, so zu sagen, ausselektiert. Bei den Retromöpsen wurde gezielt wieder eingekreuzt.

GAUSS’SCHE GLOCKENKURVE



Die Gauß’sche Glockenkurve kann dies gut veranschaulichen, allerdings nur für quantitative Merkmale. Merkmale die zählbar oder messbar sind, wie z.B. die Schulterhöhe werden als quantitative Merkmale bezeichnet. Qualitative Merkmale, die nicht direkt zählbar oder messbar sind, wie das Wesen, Verhalten oder die Fellfarbe, lassen sich durch die Gauß’sche Glocke daher nicht anzeigen. Machen wir es am Beispiel der Schulterhöhe fest. Als Beispiel nehmen wir zwei Hunderassen.. Auf der X-Achse ist die Größe der Hunde und auf der Y-Achse die Zahl der Hunde mit einer bestimmten Größe eingetragen. Die erste Glockenkurve des Malinois zeigt einer gleichmäßigere Verteilung und einen kontinuierlichen Anstieg bis zur durchschnittlichen Schulterhöhe. Die Extremwerte liegen weiter auseinander. Die Glockenkurve der Rasse 2 hingegen, hat einen steilen Kurvenverlauf und viel mehr Hunde haben eine Schulterhöhe, die im Bereich des Mittelwerts liegt. Die Extremwerte liegen hier nahe am Mittelwert. Dies bedeutet, dass Rasse 2 eine geringere phänotypische und genetische Varianz beim Merkmal Größe hat. Züchterisch kann dieses Merkmal also kaum noch bearbeitet werden. Es gibt, wie in dem Fall vom Mops und der weggezüchteten Schnauze nun wesentlich erschreckendere Beispiele, die zeigen, dass das erreichte Zuchtziel mit unerwünschten Nebenwirkungen (Beim Mops Brachycephalie) verbunden ist, aber die Größe der Varianz keine Veränderung mehr zulässt. Es kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.





Um den qualitativen Merkmalen, die man nicht messen oder zählen kann, ein Maß zu geben, wird für die Zucht die Heritabilitätsschätzung herangezogen .

Zitat
Im Übertragenen Sinn lässt sich Heritabilität als Maß für den genetischen Anteil an der phänotypischen Ausprägung eines Merkmals interpretieren. In jedem Fall ist die in einer Population geschätzte Heritabilität eines Merkmals ein Maß für den aktuell möglichen Selektionserfolg für dieses Merkmal.

Zitat Sommerfeld, S. 208:



Einfach ausgedrückt ist es ein Maß für die Erblichkeit von bestimmten Merkmalen oder Eigenschaften.

Nun unterliegt die Erfassung und Beurteilung qualitativer Merkmale einer subjektiven Bewertung und damit einer Fehlerquelle und die Ergebnisse/ Werte könnten nicht ganz korrekt sein. Hinzu kommt, dass Heritabilitätsschätzungen rechnerisch sehr aufwendig sind und heute durch Statistikprogramme in ausgestatteten Instituten ausgewertet werden. Die ausgewerteten Heritabilitätswerte haben allerdings jeweils nur für eine Population und eine Generation Gültigkeit. Da es in der Praxis nicht möglich ist für jede Generation die Werte wieder neu berechnen zu lassen, greifen die meisten Zuchtstrategien auf bereits publizierte Heritabilitätswerte aus anderen Populationen zurück. Aus eben genannten Gründen ist die Gültigkeit für die eigene aktuelle Zuchtpopulation dann aber eher fraglich.

Weiter macht Selektion auf ein Merkmal nur Sinn, wenn es eine ausreichend hohe Heritabilität in der Population hat.

Schauen wir uns weiter Selektion in Bezug auf die Merkmale und ihre Heritabilität an, die Hunde für eine Zuchtzulassung/ Körung mitbringen müssen.

Selektion nach Mindestleistungen



Bei den Zuchtvoraussetzungen die man an einen Hund stellt, wird gleich auf mehrere Merkmale selektiert. Verschiedene Zuchtvereine haben Selektionsverfahren, bei welchen Mindestanforderungen an bestimmte Merkmale gestellt werden, wie Formwert, HD-Befund, Gebiss, Wesenstest o.ä. Man spricht hier von Selektion nach Mindestleistungen. Sie ist gängige Praxis in der Hundezucht und bei manchen, sehr wichtigen Merkmalen, wie HD-Befund auch sinnvoll, allerdings scheiden hier auch Hunde bei geringen Abweichungen weniger wichtiger Merkmale, aus der Zucht aus. Wie viele Hunde gehen einer Population wohl schon alleine durch reine Schönheitsfehler verloren? Auch dies ist wieder ein Beitrag zum Verlust an genetischer Vielfalt.

INDEXSELEKTION



In der Hundezucht scheint die Indexselektion völlig unbekannt zu sein. Sie wird in der Nutztierzucht eingesetzt. Weniger wichtige Merkmale beeinflussen auch die Gesamtbewertung weniger. Die Indexselektion berücksichtigt auch die Heritabilität jedes Merkmals und Merkmale mit niedriger Heritabilität und Wichtigkeit, fallen bei der Gesamtbewertung weniger ins Gewicht. Auf diese Weise fallen weniger Hunde wegen Bagatellfehlern aus und es gibt weniger selektionsbedingte Reduktion der genetischen Vielfalt. Merkmale mit einer mittleren oder niedrigen Heritabilität beschreiben meist viel mehr einen Phänotypen der mehr durch seine Umwelt, als durch seinen Genotyp beeinflusst wird. Der Wesenstest bzw. das Wesen eines Hundes hat niedrige Heritabilität und ist stark von Umwelteinflüssen abhängig, wie z.B. eine perfekte Ausbildung und Vorbereitung und sollte bei einer Beurteilung mit berücksichtigt werden. Allerdings zeigen die beiden bedeutsamen Merkmale, Scheu und Aggressivität eine hohe Vererblichkeit und können daher durch Selektion beeinflusst werden.

Sommerfeld-Stur beschreibt das am Beispiel, „Nur das Beste für die Zucht“ und spricht damit die Championzucht an. Züchter nutzen überwiegend immer wieder dieselben Rüden und zwar meist diejenigen, die besondere Titel tragen. Das größte Problem daran ist, dass all die Gene der „Nicht-Champions“ unwiederbringlich, durch den Zuchtausschluss für die Population verloren gehen. Auch die „Nicht-Champions“ tragen Gene die erwünschte Merkmale kodieren und umgekehrt tragen natürlich die Champions auch unerwünschte Gene, die sich durch zu häufigen Zuchteinsatz weit in einer Population ausbreiten und die man dann mangels Alternativen auch nicht mehr loswird. Man kann nur immer wieder darauf hinweisen, dass der Popular Sire Effekt ein riesen Problem bei Rassehunden ist. Empfehlenswert ist dazu unser Thema „Effektive Zuchtpopulation im Vergleich DMC/ BSD“ zu lesen. Hier ist ganz deutlich beschrieben, wie der Einsatz nur weniger Rüden die effektive Zuchtpopulation sinken lässt und gleichzeitig das Inzuchtniveau steigen lässt.

GENETISCHE KOPPLUNGEN



Jede Form von Selektion ist nur auf ein oder ein paar definierte Merkmale konzentriert. Nun lassen sich Hunde nicht auf einzelne Merkmale reduzieren. Hunde stellen einen komplexen Organismus dar, der mit zahlreichen Regulationsmechanismen verknüpft ist, die wieder voneinander abhängig sind. Bearbeiten Züchter ein Merkmal, verändern sich auch Merkmale, die mit dem selektierten Merkmal funktional zusammenhängen. Gründe dafür sind genetische Kopplungen oder der Pleiotropieeffekt.



Jede Selektion hat daher auch immer Nebenwirkungen. Will man das eine Merkmal haben, dann muss man die damit assoziierte Problematik in Kauf nehmen. In den verschiedenen Rassen gibt es viele ungünstige Merkmalsassoziationen.

In der Zukunft wird es immer mehr genomische Zuchtwertschätzungen für Hunde geben. Heute werden schon an Hand von DNA-Abschnitten Assoziationsanalysen in Rassehundpopulationen durchgeführt. Beim Berner Sennenhund kann bereits ein genomischer Zuchtwert für die Lebenserwartung erhoben werden. Auch gibt es bereits bestimmte Assoziationen in Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen. Feragen ist in der Lage durch einen DLA-Haplotypenabgleich perfekte Verpaarungen in Bezug auf die DLA-Gene zu empfehlen, die wichtig für die Immunabwehr sind. Die Diversität der DLA-Gene verhindert Autoimmunerkrankungen. Mehr dazu in unserem Beitrag, „DLA-Gene und die Bedeutung ihrer Diversität„.

Trotzdem wird Inzucht in geschlossenen Populationen auch in der Zukunft ihren Preis fordern.

In diesem Sinne, dreht die Schraube nicht immer weiter und immer enger, denn nach fest, kommt bekanntlich ab.




Quellen:

Literatur

Hellmuth Wachtel, Hundezucht 2000, 1. Auflage 1997, 2. durchgesehene Auflage 1998, Gollwitzer Verlag, Weiden.

Irene Sommerfeld-Stur, Rassehundezucht, 1. Auflage 2016, Müller Rüschlikon Verlag, Stuttgart.

Campbell, Biologie, 11.,aktuallisierte Auflage 2019, Pearson Deutschland GmbH, Hallbergmoos, Kapitel 23

Web Links

https://www.trumler-station.de/index.php...er-station.html

https://www.trumler-station.de/index.php...amensgeber.html

my.embark/members

https://cbd.zuchtmanagement.de/showpage....lI0lRh2fp02JzSo
https://www.biologie-seite.de/Biologie/Heritabilit%C3%A4t

https://sommerfeld-stur.at/uebersicht/po...HVnAdzjHGQjxgfE

https://de.wikipedia.org/wiki/Effektive_...gr%C3%B6%C3%9Fe

Working-dog.eu

Informationen zu diesem Artikel
  • Erstellt von: Breed a healthy race
    Kategorie: Zucht
    26.08.2022 09:17:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 15.12.2023 11:40
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