Gewissensfrage Zucht - Epilepsie
06.12.2023 10:46



Da hat man als Züchter seinen ersten Wurf auf den Weg gebracht, hat vielleicht eine vielversprechende Nachwuchshündin behalten und ist stolz darauf, die zweite eigene Generation zu planen. Und dann klingelt das Telefon und ein Welpenbesitzer überbringt die schlechte Nachricht: Bei seinem Hund wurde idiopathische Epilepsie diagnostiziert (oder jegliche andere Erkrankung, die mutmaßlich erblich ist).
Nach dem ersten Schock fangen die Gedanken an zu kreisen… Und nun? Kann ich mit der Mutter weiterzüchten? Kann ich guten Gewissens überhaupt die Schwester zur Zucht einsetzen? Immer wieder werden andere Gründe als die Vererbung gesucht, sind die Anfälle nicht doch aufgrund eines Giftes oder Medikamenten entstanden?

Dieser Artikel wird Euch diese Fragen nicht beantworten können. Er wird Euch auch keine klare Handlungsanweisung liefern. Aber er soll Euch eine Hilfestellung geben, um für Euch die richtige Entscheidung zu treffen. Durch Recherche und das gegeneinander abwägen von Vor- und Nachteilen. Die Rassehundeclubs geben vor nur mit gesunden Tieren zu züchten. Eine Handlungsanweisung für Eltern und Geschwister gibt es in der Regel meistens nicht. Somit ist die Hundezucht – für Züchter und Deckrüdenbesitzer gleichermaßen – eigenverantwortliches Handeln.

Es liegen zehn Studien vor, die sich speziell auf die idiopathische Epilepsie beim Belgischen Schäferhund konzentrieren Hauptsächlich werden in diesen Studien die Varietäten Groenendael und Tervueren untersucht. Diese relativ hohe Anzahl an Studien macht den Belgischen Schäferhund zu einer der am intensivsten untersuchten Hunderassen auf dem Gebiet der Hundeepilepsie. Bereits Ende der 60er Jahre wurde vermutet, dass die idiopathische Epilepsie bei unserer Rasse erblich ist [1].

Obwohl der klinische Phänotyp der idiopathischen Epilepsie beim Belgischen Schäferhund gut beschrieben ist und umfangreiche Forschungsanstrengungen unternommen wurden, war es bisher nicht möglich, die ursächliche(n) Genmutation(en) zu identifizieren, die für die idiopathische Epilepsie verantwortlich ist [1].

Aufgrund immer wieder an uns herangetragene Fragen zum Zuchteinsatz von Wurfgeschwistern und/oder Elterntieren bei an idiopathischer Epilepsie erkrankten Hunden haben wir an die Uni Bern und die TiHo Hannover folgende Frage gestellt:

Wie würden Sie im Rahmen der Zucht mit Wurfgeschwistern und Elterntieren des an idiopathischer Epilepsie erkrankten Hundes umgehen? Würden Sie diese weiter zur Zucht einsetzen oder Wurfgeschwister ausschließen?

Antwort von Prof. Dr. Tosso Leeb (Institute of Genetics, University of Bern):

Zitat
Bei Epilepsie rate ich strikt von einem Zuchteinsatz betroffener/epileptischer Hunde ab. Das ist aber meine einzige klare Zuchtempfehlung. Man kann zusätzlich erwägen, nicht-betroffene Eltern und Geschwister von betroffenen Hunden von der Zucht auszuschließen, aber damit schränkt man schon wieder den Genpool ein und man darf einfach nicht zu viele Hunde von der Zucht ausschließen. Bei den meisten Fällen von Epilepsie kennen wir heute die genauen Mechanismen der Vererbung nicht und können daher auch keine präzisen Zuchtempfehlungen geben. So macht es zum Beispiel einen großen Unterschied, ob ein Risiko-Allel für Epilepsie dominant oder rezessiv ist. Wenn man die beiden Eltern eines epileptischen Hunds in der Zucht lässt, würde ich von einer Wurfwiederholung abraten. Ich würde die nicht-betroffenen Geschwister eines epileptischen Hunds nicht "schlechter" bewerten als die Eltern. Allerdings wäre ich in der Tat besonders vorsichtig mit einem möglichen Zuchteinsatz eines 2-jährigen Hundes, wenn bei einem Geschwister im Alter von 21 Monaten der erste epileptische Anfall aufgetreten ist. Man muss dann das Risiko abschätzen, ob das fragliche Geschwistertier vielleicht auch noch selbst an Epilepsie erkranken könnte und dann sollte man so ein Tier natürlich nicht zur Zucht einsetzen.



Antwort von Dr. Nina Meyerhoff, Tierärztin, DipECVN (Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover):

Zitat
Für die wenigsten Rassen bzw. Epilepsieformen ist bisher ein einzelnes Gen mit Defekt als Auslöser beschrieben (Benigne familiäre juvenile Epilepsie beim Lagotto Romagnolo, Juvenile Myoklonische Epilepsie beim Rhodesian Ridgeback), selbst diese Rassen können leider auch andere idiopathische Epilepsien aufweisen.
Insgesamt ist die idiopathische Epilepsie bei den meisten Patienten vermutlich polygenetisch verursacht, also bestimmte Genkombinationen und dann eine individuelle „Penetranz“ (Ausprägung der Symptome). Wir empfehlen aktuell, mit Vollgeschwistern nicht zu züchten und die risikobehaftete Verpaarung der Eltern zu vermeiden, aber das Wissen kratzt hier noch an der Oberfläche und exakte Zuchtempfehlungen sind schwierig. Für die Zukunft sind hier Datenbanken sehr wichtig, ähnlich wie in Skandinavien. Leider ist die idiopathische Epilepsie eine Erkrankung, die auch im mittleren Alter sichtbar werden kann, wenn der Hund evtl. schon zur Zucht eingesetzt wurde.



Wie findet man heraus, ob eine Verpaarung risikobehaftet ist?

Durch Gespräche und Austausch mit Züchtern und Haltern. Und durch Datenbank-Recherche! Und ja, es ist ein aufwändiges Unterfangen, sich durch Datenbanken zu wühlen, um an Informationen zu erkrankten Tieren zu kommen. Aber es ist neben dem persönlichen Austausch zwischen Züchtern und Haltern eine weitere Möglichkeit an Informationen zu gelangen. Leider sind viele Datenbanken unvollständig. Nicht jeder kranke Hund wird den Zuchtverbänden gemeldet, noch weniger werden in die Datenbanken eingepflegt. Wir versuchen mit Aufklärungsarbeit und Hilfestellungen für Züchter und betroffene Hundehalter das Bewusstsein zu schärfen, dass es für die Aufklärung wichtig ist die betroffenen Hunde beim Zuchtverband zu melden und Blut für die Forschung einzuschicken.
Diese vier Datenbanken sind aktuell zu empfehlen:

The International Epilepsy Register
Czech database
The Breed Archive
DKBS


Auch in anderen Datenbanken kann man ebenfalls vereinzelt fündig werden. Weitere Datenbanken findet ihr in unserem Forum (Stand 12.11.2023).
Wenn man nun die eigene Linie der Zuchthündin und die Linie der ausgesuchten Deckrüden durchforstet hat– wie kann man das Risiko dann abschätzen?
Man kann prinzipiell das Risiko aus der Epi-Zahl nach Ahnentafel des Hundes in fünf Generationen berechnen. Immer unter Berücksichtigung der erkrankten Hunde und ihrer nahen Verwandten sowie der Generation, in der sie vorkommen [2]. Der Grundgedanke kommt aus Finnland.



Die aus den Daten berechnete Kennzahl beschreibt gewichtet das Auftreten von Epilepsiefällen bei den Vorfahren des betrachteten Hundes und bietet bei ausreichender Informationslage eine Vergleichbarkeit zu anderen Hunden mit vergleichbarer Informationslage. Diese Exceldatei könnt ihr euch HIER herunterladen.
Über den Gesundheitszustand der unterschiedlichen Zuchtlinien wird leider nur wenig offen kommuniziert. Es ist also nicht immer einfach, verlässlich viele Informationen zu erhalten, um ein Risiko abschätzen zu können. Man kann nur immer wieder betonen, dass es unheimlich wichtig ist, erkrankte Hunde zu veröffentlichen. Nur so kann ein Züchter das Risiko überhaupt einschätzen.





Quellen:
[1] https://bmcvetres.biomedcentral.com/arti...2917-015-0463-0 (Stand 11.11.2023)
[2] https://spj.fi/rodut/suomenpystykorva/te...8S3vtzoMCdg11TY (Stand 11.11.2023)

Informationen zu diesem Artikel
  • Erstellt von: Astrid Hübner
    Kategorie: Zucht
    06.12.2023 10:46:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 15.12.2023 11:24
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