Das Aggressionsgen?
11.08.2022 09:23

von Marie Balzer
VERÄNDERUNGEN IN VERHALTEN UND AKTIVITÄTSNIVEAU VERBUNDEN MIT EINER POLY-A-EXPANSION IM DOPAMIN TRANSPORTER DES MALINOIS

Der angebotene Gentest



Zitat
„Idiopathische Aggression (Aggression aus unbekanntem Grund) wurde insbesondere bei den Hunden der Malinois-Rasse beobachtet. Bei dem betroffenen Hund können Anfälle auftreten, verbunden mit aggressivem Verhalten, dessen Auslöser oft unbekannt ist. Dieses Verhalten wurde als episodisch, ungeplant, unvorhersagbar, ohne offensichtlichen Grund und absolut außerhalb des normalen Charakters des betroffenen Hundes bezeichnet. Der aggressive Hund hat vor dem Ausbruch einen starren, geistesabweisenden oder leicht glasigen Blick, reagiert auf keine Anregungen und nimmt seine Umgebung nicht wahr.“

https://www.genomia.cz/de/test/aggression/





Die Werbung klingt toll, aber sie ist irreführend. Man könnte glauben man hätte die Lösung gefunden warum die nette, komplett positive Hundetrainerin mit dem Doppelnamen in der Hundeschule auch nicht weiterhelfen kann mit dem Ebay Malinoiswelpen vom Hobbyvermehrer. Der sollte doch so ein netter Familienhund sein und den Gatten Samstags beim Joggen begleiten.

Irgendwas stimmt mit Hasi einfach nicht. Schnell ist der Gentest herbei und tatsächlich! Hasi trägt A22. Das ist es! Einschläfern. Welch eine Erleichterung das persönliche Versagen an einer der letzten Gebrauchshunderassen auf einen Gentest abschieben zu können…..

Reaktionen von Hundehaltern auf Facebook




Quelle: Facebook

Eine Hundehalterin war der Meinung, ihr nicht mal 2 Monate alter Malinois-Welpe würde sich besorgniserregend verhalten. Der Welpe wurde auf A22 getestet und wurde homozygot (A22/A22) ausgewertet. Aus diesem Grund wurde er der Züchterin zurückgebracht, die den Welpen angeblich euthanasiert hat.

Auf Grund dieser und ähnliche[img][/img]r Geschichten sollte man sich einige Fragen stellen:

Rechtfertigt dieser Test das euthanasieren von Hundewelpen?
Sollte man züchterisch eingreifen und selektieren?
Wie aussagekräftig ist die Studie zum Test?


Um welchen Gentest handelt es sich überhaupt?



In der wissenschaftlichen Literatur findet man unterschiedliche Varianten innerhalb des SLC6A3-Gens. Dieses Gen codiert für einen Dopamin-Transporter, der das von den Neuronen freigesetzte Dopamin aus dem synaptischen Spalt in die Zelle hinein transportiert und somit die Wirkung des Dopamins beendet.
Das Gen spielt also eine wichtige Rolle für die Regulation der Signalstärke und der Signaldauer. Zum einen ist die Rede von einem VNTR (variable number tandem repeat), welcher sowohl beim amerikanischen, als auch beim europäischen Malinois im Vergleich zu anderen Rassen überrepräsentiert ist.
Diese Variante wurde anhand von Diensthunden des Militärs näher untersucht und man meinte, eine Korrelation zwischen dem Auftreten der Variante und einem gesteigerten aggressiven Verhalten gefunden zu haben.
Bei einer zweiten Variante handelt es sich um eine Insertion innerhalb der PolyA-Sequenz dieses Gens. Diese Variante soll ebenfalls mit gesteigertem aggressivem Verhalten und einem erhöhten Aktivitätslevel einhergehen.
Die PolyA-Variante wurde laut der Literatur anhand von Malinois mit unterschiedlicher Herkunft untersucht (also nicht nur bei Diensthunden). Sowohl an der UC Davis als auch bei Labogen und Genomia wird ausschließlich der Test auf die Poly-A-Variante durchgeführt.



Was ist Dopamin und wofür ist es gut?





Dopamin ist ein Botenstoff, ein sogenannter Neurotransmitter. Es moduliert emotionale, geistige oder motorische Reaktionen. Als enger Verwandter des Adrenalins (vielleicht kennt der eine oder andere den Adrenalinkick beim Sport) ist Dopamin als Glücksbotenstoff im Volksmund bekannt.

Freude/Belohnung werden damit modifiziert und somit natürlich auch die Entstehung von „Süchten“.

Dopamin verändert zudem unsere Wahrnehmung.

Eine Studie der MedUni Wien konnte zeigen, dass Menschen bei erhöhter Dopaminausschüttung den Dingen ein anderes Gewicht beimessen, bedeutungslose Dinge werden bedeutsam.

Ein zu wenig an diesem Botenstoff macht krank, hier sei das Parkinsonsyndrom genannt, ein deutliches zuviel jedoch ebenfalls. Es kann im Extremfall sogar zu Halluzinationen, Wahn und Schizophrenie führen, wobei die Ursache für die Schizophrenie weiterhin ungeklärt bleibt. All dies sind nur Theorien.



Wie kommt man dazu, bei Hunden Aggressionen zu postulieren? Also von einem Glückshormon zu einem Test auf Agressionen??

Durch eine Alkoholstudie beim Menschen. NICHT im Zusammenhang mit Hunden:

Zitat
„Obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass eine DAT-Mutation Anfälle oder mit Anfällen verbundene Aggression verursachen würde, umstritten ist (!), wurde eine DAT-Variable Number Tandem Repeat (VNTR) beim Menschen mit Alkoholentzugsanfällen in Verbindung gebracht.
Darüber hinaus unterstützt die höhere striatale Dopamintransporterdichte bei gewalttätigen Alkoholikern im Vergleich zu gewaltfreien Alkoholikern und gesunden Kontrollpersonen die Beteiligung des dopaminergen Systems an aggressivem Verhalten. Die Rolle der DAT als gemeinsamer Nenner zwischen Schizophrenie und Epilepsie wurde ebenfalls vorgeschlagen. Aufgrund dieser Assoziationen zwischen dem Dopamin-Transporter, aggressivem Verhalten und Krampfanfällen ist der Ansatz des Kandidatengens ein logischer Ansatz, um den Beitrag von Hunde-DAT zur episodischen Aggression und Anfallsaktivität bei Hunden weiter zu untersuchen.“

Frei Übersetzt aus der VNTR Studie, Quelle: https://bmcgenomdata.biomedcentral.com/a...1471-2156-14-45



Kurze Bemerkung hierzu. DAT VNTR war der andere Gentest, der den man nicht kaufen kann….

Studie der UC Davis



Nähern wir uns nun gemeinsam der Studie der UC Davis.

Teilnehmer der Aktivitätsstudie waren insgesamt 22 Malinois (Rüden, Hündinnen und Kastraten) sowie 25 Hunde aus 12 anderen Rassen (je Rasse waren 1-4 Hunde dabei)

Bei den Malinois trugen 5 Hunde keine Kopie des (Poly-)A22, 8 Hunde trugen eine Kopie und 9 Hunde beide Kopien.



SCHRITT 1 DER STUDIE – FRAGEN

Fragen an Besitzer die der Malinois (Beantwortung mit „ja“ oder „nein“):

1.Hatte der Hund schon einmal einen Krampfanfall?
2.War der Hund bereits einmal nicht ansprechbar während eines Stimulus aus der Umwelt? Glasige Augen? Wie eingefroren?
3.Hat der Hund bereits übermäßig aggressiv (gegenüber Hunden oder Menschen) reagiert, obwohl es keinen nachvollziehbaren Auslöser gab?



Fragen, die sich zur Studie ergeben:

- Welche Hundebesitzer wurden ausgewählt und haben Fragebogen ausgefüllt?

- Über welchen Erfahrungsschatz verfügen sie? Siehe oben.

- Was ich für einen schönen Beutetrieb halte und bei der Ausbildung viel Freude bereitet, mag ein „Nichtsportler“ oder Ersthundehalter für extrem halten.

- Gab es wirklich keinen Auslöser für aggressives Verhalten oder wurde eine deutliche Warnung vom Menschen einfach nicht wahrgenommen?

- Was bedeutet überhaupt „übermäßig aggressiv“ für die Leute

- Die Besitzer waren nicht alle Diensthundeführer oder erfahren, die Hunde kamen z.T. aus dem Tierschutz mit unbekannter Vorgeschichte.

SCHRITT 2 DER STUDIE – AKTIVITÄTSLEVEL

1.Man lies die Hunde einen 6×6 m großen Raum frei erkunden (Besitzer saß dabei auf einem Stuhl im Raum und unterhielt sich mit einer zweiten Person) — der Hund wurde nicht beachtet

2.Dann wurde der Raum gewechselt und zum Schluss wieder in den ersten Raum zurückgekehrt (je Raum 5 Minuten Beobachtung)



Alle Hunde waren beim ersten Mal in einem unbekannten Raum aktiver und der Malinois generell aktiver als andere Rassen. Zur Erinnerung nur 5 Malinois trugen den Genotyp A0/A0.

Ob dies aussagekräftig genug ist, sei dahingestellt. Der geneigte Malinoisbesitzer wird das hohe Aktivitätsniveau der Rasse ohnehin bestätigen. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit der A22 Variante, welche bei der Rasse extrem häufig vorkommt und zu vermehrter Aktivität führt. Studienergebnisse bei SLC6A3 Knockout Mäusemodellen legen dies nahe.

DISKUSSION MIT ZITATEN DER UC DAVIS STUDIE



Zitat
„Es sollte jedoch beachtet werden, dass es möglich ist, dass aggressives Verhalten einen angestammten Phänotyp darstellt, so dass die Poly(A)-Expansion der Wildtyp sein kann und selektive Züchtung dazu geführt hat, dass dies bei den meisten Rassen außer den Malinois eliminiert wurde.“



Dies hieße wir betrachten keinen Gendefekt, sondern möglicherweise den normalen Wildtyp

Zitat
„Obwohl die Art der zusätzlichen SLC6A3-Variation keine funktionellen Veränderungen nahelegt, sollten solche Effekte nicht ausgeschlossen werden und es kann schwierig sein, unabhängige Effekte von Varianten zu klären.“



Niemand weiß, ob die Poly-A-Expansion tatsächlich eine funktionelle Veränderung mit sich bringt und wenn dem doch so ist, in welchem Schweregrad….. DAT Mäusemodelle liefern widerprüchliche Daten.

Zitat
„Die komplexe, polygene Natur des Verhaltens und die Bandbreite der mit dieser Insertion verbundenen Verhaltensweisen sagen auch voraus, dass die Insertionseffekte durch zusätzliche genetische und Umweltfaktoren modifiziert werden können.“



Verhalten ist komplexer Natur und mehr als ein paar Transmitter in einem neuronalen Netzwerk, welches wir nicht einmal ansatzweise verstehen.
Es lässt sich sicher nicht mit dem hier vorliegenden Test validieren. D.h. ihr müsst euch für den mies erzogenen Hund oder die schlecht gezüchtete Wesenskrücke weiter den „Schuh“ anziehen. A22 ist keine Ausrede…

Fragen zum Webinar


Zitat
Zum Thema Dopamintransportergen: Gibt es hierzu auch varietaetsuebergreifende Daten?



Jein, das ist nicht aussagekräftig. Ein einziger Groenendael war ebenfalls Teilnehmer der Studie und Träger, damit wären 100% der Groenies in der Studie betroffen….Statistik eben.

Zitat
kann man in Österreich diesen Gen testen lassen?



Ja, bei Feragen.

Zitat
1) Ist dieser Gentest jetzt schon 100% aussagekräftig oder nicht? 2) Habe ich richtig verstanden, dass die Häufigkeit der Epilepsie auch auftritt?



Die Hunde machen mutmasslich den Löwenanteil der Population aus, sie sehen normal aus. Der Erbgang ist rezessiv und nicht gonosomal (geschlechtsgebunden), bitte bedenkt auch, dass A0 nicht ausschließt, dass der Hund eine Mutation im VNTR hat.

Der Test sagt nur sicher aus, dass der Hund A22 trägt oder nicht. Rückschlüsse auf Aggressionen oder gar Epilepsie sind anhand der vorgelegten Studie, wie sagt man so schön im Ruhrpott? -„Kappes“. Es ist zudem auch keine Entschuldigung für Dummheit, dürftige Zucht/Wesen und miese Erziehung.

Zitat
Gibt es tatsächlich Züchter, die nach diesem Gentest selektieren?



In Amerika hat sich bei einigen Züchtern die Meinung durchgesetzt die A 22 Träger seien die besseren Diensthunde. Tatsächlich selektieren einige danach. A 0 Haustier, A22/0 oder A22/A22 werden ins Programm aufgenommen. Das entspricht natürlich auch nur Erfahrungen/Meinungen und keiner wissenschaftlichen Grundlage

Zitat
Kennst du einen Hund mit A22/A22?



Klar. Ich besitze einen und wisst ihr was? Ist ein Mali, nicht mehr und nicht weniger.

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